Ninas Leserinnenbrief zum Artikel in der FAZ vom 08.11. “Das Gewese um die Schwangerschaft”

Liebes Team der FAZ,

über @janahebammenblog bin ich auf Ihren Artikel „Das Gewese um die Schwangerschaft“ aufmerksam geworden, sowie auch auf Ihre Bereitschaft, einen Folgeartikel ob der Leser-Reaktionen zu verfassen.
Der Artikel hat mich so beschäftigt, dass ich nun als frisch gebackene Zwillings-Mama gerne auf einige Zeit meines spärlichen Schlafes verzichten möchte, um Ihrem Aufruf zu folgen, Ihnen mittels meines ersten Leserbriefes mein Feedback mitzuteilen.
Dieser ist allein von mir und aus meiner Perspektive verfasst. 
Ich entschuldige mich bei den angeführten Personen und Institutionen, sollte ich mich an der ein oder anderen Stelle nicht professionell genug ausgedrückt haben.

Ich bin mittlerweile 34. Die späte Mutterschaft liegt, wie bei vielen Frauen meiner Generation, begründet in einem aktiven selbstbestimmten Leben, sowie der Priorität auf Arbeit und Karriere, denen Mutterschaft nach wie vor nicht gut bekommt.
Darüber hinaus gibt es jedoch noch weitere Gründe, die ich mir insbesondere in den letzten Monaten eingestehen musste und über die weniger offen gesprochen wird, als über Rollendiffusionen moderner Frauen:
Ich hatte panische Angst vor der Schwangerschaft und vor allem vor der Geburt!

Meine einzigen Erfahrungen mit dem Thema bestanden aus Horror-Geschichten von anderen Müttern, vor allem aber aus Medien und Filmen:
Vor Schmerzen schreiende Frauen wirken auf mich wie Vieh auf der Schlachtbank – der Boden unter ihnen hält diesem Vergleich ebenfalls stand. Überlebenskampf für Mutter und Kind, Geburtsverletzungen, die das Dasein als Frau mit der Geburt beenden – erst recht als sexuell aktive.
Schwangerschaft war für mich damit der Countdown zum D-Day.

Kein Wunder also, dass mit dem (gewünschten!) positiven Schwangerschaftstest über mich eine Welle der Panik los gebrochen ist. 
Bei der Nachricht des doppelten Nachwuchses musste ich dann noch im Behandlungszimmer meiner Gynäkologin erstmal 20 Minuten bitterlich weinen – nun sollten sich also nochmal sämtliche Ängste vor Komplikationen in der Schwangerschaft, einer risikoreichen Geburt und der ersten Babyzeit potenzieren…
Ich entwickelte eine handfeste Schwangerschaftsdepression, aus der ich es erst im 5. Monat heraus schaffte.

Aus Gesprächen mit Freundinnen weiß ich, dass es vielen Frauen meines Alters so geht. 
Aus Gesprächen mit Freunden, dass auch Männer sehr von diesem skizzierten Horror geprägt sind – da müssten sie also tatenlos zusehen, wie Mutter und Kind in Lebensgefahr schweben und von ihrer vormals attraktiven Partnerin bliebe ihnen allenfalls eine zerquetschte Hand.
Soll das wirklich die Art und Weise sein, wie wir unser Dasein als Eltern starten? Wie wir die neue Generation von sich ankündigenden kleinen Seelen in unserer Welt, Gesellschaft und Familie Willkommen heißen?!

Folgt man Ihrem Artikel, dann lautete die Antwort wohl „ja“. Er vermittelt deutlich: Da sei nichts zu zelebrieren, ein Kampf gar auf Leben und Tod zu führen!

Ich bin unheimlich froh, dass ich diesen Artikel nicht in meiner eigenen unwissenden und unendlich verletzlichen ersten Schwangerschaftszeit gelesen habe.
Statt dessen hatte ich das Glück, auf Frauen zu stoßen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, diesen Kreislauf aus Ängsten und daraus entstehenden selbsterfüllenden Prophezeiungen zu durchbrechen. Frauen, die andere Frauen empowern wollen, ihre eigene Power unter dem oben skizzierten Zerrspiegel wieder zu entdecken.
Allen voran sei hier Kristin Graf mit ihrem Konzept der „friedlichen Geburt“ genannt, die mich darin bestärkt hat, auf meinen Körper, meine Babys und die Natur zu vertrauen, die im Zusammenspiel dafür sorgen, dass ich als Frau gebären kann! Ganz von allein. Und zwar zur Not auch ohne Geburtshelfer, die sich idealer Weise eher als Geburts-Begleiter für eine selbstbestimmte Geburt verstehen sollten.

(Und wer hier an ein Klischee von Batik-Rock tragenden Frauen denkt, die barbusig in einem Kreis im Wald sitzen, dem möchte ich als studierte Psychologin, naturwissenschaftlich geprägt, nicht religiös und wenig spirituell nahe legen, sich mit den zunehmend besser erforschten und durch Studien belegten Effekten von Selbsthypnose und Selbstheilungskräften des Körpers zu beschäftigen, um seinen Horizont zu erweitern.)

Laut der gängigen Meinung und Standard-Einschätzung eines großen Teils des medizinischen Personals, waren meine Zwillinge dazu verdammt, als Frühchen per Kaiserschnitt mit einem Überlebenskampf unter Schmerzen und Drama in dieser Welt ankommen zu müssen. Das hätte wohl auch Ihre als „Expertin“ zitiere Annika Schutt bestätigt.

Leider bin ich mir mittlerweile sicher, dass es ohne den wertvollen Input von Kristin, dem Zwillings-Geburtsvorbereitungskurs bei Jana und tollen Frauen wie Sissi Rasche und Kareen Dannhauer vom Podcast „Hebammen-Salon“, Julia und Fanny von „MammaLauda“, sowie weiteren, tatsächlich auch so gekommen wäre.
Ich hätte dies alles vermutlich genau so traumatisch erleben müssen, wie ich es mir vorher ausgemalt hatte, wie es Berichte und Aussagen aus der Kategorie „Das Gewese um die Schwangerschaft“ schüren und wie es vielen Freundinnen ergangen ist, die bis heute nicht über die Ankunft ihrer Kinder sprechen können. 
Die tatsächlich diesen von Ihnen in Ihrem Artikel skizzierten Kampf auf Leben und Tod führen mussten. 
Für all die Frauen, deren Geburt anders abgelaufen ist, als gewünscht, dürften Aussagen über ignorierte Geburtspläne ein Schlag ins Gesicht sein.
Wie ich heute weiß, könnte ein großer Teil der Komplikationen rund um die Geburt vermeidbar sein, hätten mehr Frauen eine Aufklärung und Vorbereitung erhalten, wie ich sie haben durfte.

Die Methode der „Friedlichen Geburt“ stärkte meine Körperwahrnehmung, meine Bindung zu den Babys und meine Einstellung zu ihnen – auch jetzt weit über die Geburt hinaus.
Sie hat es mir mittels Informationen ermöglicht, mich über Standards, Richtlinien und Fremdmeinungen hinweg zu setzen, um in einer buchstäblich schweren Zwillingsschwangerschaft auf meinen eigenen Weg zu vertrauen – der in einer natürlichen, termingerechten, für alle Beteiligten gesunden und verletzungsfreien Geburt gemündet hat! 
Ich habe komplett auf Schmerzmittel verzichtet und die Geburt bis auf die finale Phase allein mit meinen Kindern gemeistert. 
Das hat mich als Frau und als Mutter geprägt und meine Selbstwirksamkeit erhöht.
Davon profitieren wir als Mutter-Kind-Team noch heute und werden es wohl auch immer…

Das hätte ich meinen Freundinnen auch gewünscht: Dass sie gewusst hätten, wie sie selbst nicht nur ihre eigene Selffullfilling Prophercy, sondern auch die klinische Interventionskette mittels Selbstbestimmtheit und Eigenverantwortung hätten durchbrechen können.
All die oben genannten Frauen haben mich aufgeklärt und bestärkt. Haben mir Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft als etwas Natürliches, Kraftvolles und Magisches nahe gebracht, ohne zu idealisieren.
Durch sie wusste ich jederzeit, was passiert, was passieren könnte und wie ich meinen eigenen Weg gestalten kann, ohne mich medizinischem Personal ausgeliefert fühlen zu müssen.
Und sollte das nicht auch das Recht jedes Patienten sein…?!

Frauen genau dazu zu befähigen und die Ankunft künftiger Kinder mit zu gestalten liegt als renommierte Zeitung auch in Ihrer Hand (und Verantwortung). Sie haben die Möglichkeit, entweder Angst zu schüren, oder zu informieren und zu befähigen.

Und ihr Einfluss geht noch weiter, hinein in die Debatte um unser Gesundheitssystem:

All die oben aufgeführten Frauen wirken, ohne dabei das medizinische Personal in Verruf zu bringen und Fronten aufzubauen. Sie ermöglichen mit ihren Informationen eher den Perspektivwechsel als Grundlage für den Dialog und die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Frauen, Ärzten und Hebammen.

Tatsächlich möchte ich betonen, dass die Gynäkologie im Krankenhaus meiner Wahl (Klinikum Wolfsburg, Zertifizierte Geburtsklinik) eine andere Perspektive lebt, als „Frau Schutt“:
Als Babyfreundliches Krankenhaus fördern sie natürliche Geburten, sowie den unmittelbaren Bindungsaufbau von Mutter und Kind. Interventionen werden bestmöglich vermieden (meine Schwester hat mir bspw. eine Akupunktur-Nadel zur Vermeidung eines Dammrisses gesetzt), es gibt Laktationsberaterinnen und eine Elternschule neben dem Kreissaal und alle Schwestern und Hebammen sind darin ausgebildet -falls gewünscht- den Stillstart zu unterstützen. (Dass ich meine Zwillinge heute mit fast vier Monaten immer noch voll stille, wäre ohne diese Unterstützung nicht möglich gewesen!)
Und vor allem: Dieses Klinikum respektiert und achtet Geburtspläne!

Mit diesem Schwenker möchte ich sagen: Die angeführten Aussagen seitens Frau Schutt erscheinen mir sehr einseitig berichtet und glücklicher Weise gibt es Kliniken, die anders handeln und denen gebärende Frauen vertrauen können. 
Ihr Artikel hat sie jedoch in Verruf gebracht und das Vertrauen in sie in Frage gestellt. Das ist so weder korrekt, noch fair, noch ethisch.

Wenn Sie also ihren Folge-Artikel verfassen, dann nehmen sie doch bitte Bezug zur neuen Leitlinie der Geburtshilfe, welche gemeinsam von Medizinern, Hebammen und Eltern verfasst wurde und den tatsächlichen Zeitgeist widerspiegelt (bewusst nicht das Wort „Trend“ gewählt), der in den Kreissälen Einzug hält: Selbstbestimmt, Interventionsarm und mit der Frau als Pilotin ihrer Geburt – um diesen furchtbaren, von ihnen angeführten Vergleich aufzugreifen.
Bitte lassen sie verschiedene Perspektiven zu Wort kommen. Wenden Sie sich an diejenigen, die tagtäglich mit diesem Thema arbeiten und für eine Optimierung der Geburtshilfe kämpfen, damit traumatische Erlebnisse reduziert werden können, wie Mother Hood e.V.
Dazu gehört auch, über den Hebammen-Streik zu berichten, der genau das zum Ziel hat.
Schreiben Sie von überbelegten Kreissälen und Hebammen, die sich rund um die Uhr zu Lasten ihres eigenen Privatlebens aufopfern, um Frauen das Gegenteil der von Ihnen geschilderten leidvollen Erfahrung zu ermöglichen!
Das betrifft jede werdende Mutter und jedes Kind, das sich auf den Weg zu uns macht! 
Berichten Sie von Frauen, die Traumatisches erleben mussten, sowie von denen, die ihre schmerzfreie Traumgeburt erleben durften und die jeweiligen Hintergründe.
Informieren Sie, nutzen Sie Ihre Reichweite für Druck auf die Politik und um ein Bild der Geburt zu verbreiten, wie sie natürlicher Weise sein kann!

Das sind die wirklich wesentlichen Themen in dieser Debatte – scheiß auf Filzhüllen und Gender Reveal Partys.
Trotzdem noch etwas zu diesem „tierisch nervigen Zeremoniellen“:
Zur Auseinandersetzung mit der Ankunft eines neuen Familienmitgliedes und der lebenserschütternden Transformation zur Mutter, sollte jede Frau wertfrei tun können, was sie dabei unterstützt und bestärkt.
Jede Kultur hat hierbei ihre Riten und feiert (!) die Schwangerschaft. Wenn dies heute in der westlichen Welt für manche Frauen (auch) aus Konsum besteht – so what?!
So war es z.B. für mich das aller Schönste der gesamten Schwangerschaft, liebevoll ein Kinderzimmer einzurichten – wohlwissend, dass die Babys dies im ersten Jahr noch nicht benötigen werden. Es war mein Willkommens-Ritual. Und ja: Auch ich habe auch eine schöne Hülle für meinen nüchternen und mit Sorgen behafteten Mutterpass, der mich zu jeder Untersuchung begleitet hat und mir dabei jedes Mal liebevoll vor Augen führte, dass da zwei Wunder unterwegs sind, die mir mehr Grund zur Freude, denn zur Sorge bereiten sollten.

Liebe FAZ, das war sehr viel, sehr subjektiv, weder journalistisch, noch literarisch.
Aber absolut aus dem Herzen einer Frau und Mutter, die anderen Frauen nur das Beste für ihre Geburt wünscht und sie daher bittet: 
Bitte schreiben Sie Ihren neuen Artikel FÜR alle werden Mütter und ihre Kinder und gegen die Angst.

Mit besten Grüßen,


Nina Bertram

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