Auf der Suche nach etwas, das meinem inneren Gefühl der „Natürlichkeit“ Raum bei der Geburt geben kann, bin ich auf die friedliche Geburt aufmerksam geworden. Das war genau, was ich wollte. Nach wochenlangem Hadern, weil ich nicht genau wusste, wie wir ihn uns leisten konnten, entschied ich mich aus einem tiefen Gefühl der Überzeugung dafür, mir den Kurs zu gönnen. Ich war in der 22. SSW. Ab da machte ich täglich Hypnosen, schaute mir den Kurs an und übte die Atemtechnik.
Als etwa die Hälfte der Schwangerschaft vorbei war, habe ich dir immer wieder ans Herz gelegt, am 01.05. auf die Welt zu kommen. Zwei Ärzte haben entweder den 01.05. oder den 05.05. als möglichen Geburtstermin aufgrund deiner Größe berechnet. Du hast dir genau die Mitte ausgesucht! Als der 01.05. – ein Samstag – verstrich, verflog auch irgendwie eine unbewusste Anspannung. Am Sonntag sind dein Papa und ich noch bis an den Bodensee 3,5 Std. mit dem Auto gefahren, weil er sich dort ein Motorrad gekauft hat. Es war einfach ein total schöner Tag in Konstanz und abends um 19.00 Uhr zu Hause waren wir aber beide ganz schön geschafft.
Wie immer wurde ich nachts irgendwann zwischen 03.00-05.00 Uhr wach und musste auf die Toilette. Ich hatte im unteren Rücken einen leichten Druck, den ich als meine üblichen Rückenschmerzen abtat und wieder ins Bett ging.
Dein Papa ist am Montag ganz normal in die Arbeit, ich hab bis 07.00 Uhr wie die letzten Monate auch ausgeschlafen. Als ich um etwa 08.00 Uhr auf die Toilette ging, sah ich zwei, drei kleine Blutstropfen. Da tat sich wohl irgendwas in mir drin, aber ich machte mir keinen großen Kopf, dass es los gehen könnte. Ob da in 5 Stunden was passiert oder in 5 Tagen, das wusste ja eh niemand.
Ich entschied mich noch spontan für eine Dammmassage – man weiss ja nie – und hatte dann aber nach kurzer Zeit ein komisches Gefühl dabei; da hing mir doch glatt vom Schleimpfropfen etwas an den Fingern.
AHA – wieder ein Stück mehr Richtung Geburt. Da ich aber keine Wehen hatte und sonst auch keine Beschwerden, tat ich das, was ich geplant hatte: Sauerteig ansetzen, um später Brot zu backen und dann große Einkaufstour starten und Wäsche aufhängen. Während der Einkaufstour gegen 11.30 Uhr kam sowohl im Auto als auch im Supermarkt dieser Druck auf den unteren Rücken wieder.
Als ich eine Pause im Auto machte, nutzte ich die Gelegenheit und übte die Bauchatmung. Zu Hause um 13.30 Uhr gab es Brotzeit auf dem Balkon in der Sonne, erstes Brot in den Ofen geschoben und immer wieder kam dieser Druck und ich übte die Atmung, auch in unterschiedlichsten Positionen in unserer Wohnung. Zu diesem Zeitpunkt von 14.15-15.15 Uhr war mir nicht wirklich bewusst, dass ich Wehen hatte. Es tat ja nichts weh, es drückte nur im Rücken. Und doch bewegte und atmete ich intuitiv wohl so, wie man es macht, wenn man schon mitten in der Geburt steckt! Irgendwann um 15.15 Uhr rum informierte ich deinen Papa, dass da wohl irgendwas passiere.
„Nein, aus der Arbeit kommen musst du nicht, aber du kannst ja mal deine restliche Brotzeit mitnehmen,“ habe ich ihm gesagt. Man wisse ja nie.
Die Zeit verging genauso wie davor wie im Flug – um 17.00 Uhr lag ich auf unserer Couch und hörte gerade eine Geburtsmeditation, als dein Papa nochmal anrief, er hole sich beim Bäcker noch zwei Käsestangen, wenn das ok ist.
„Ja, ja, mach nur,“ sagte ich. In der Zwischenzeit hatte ich herausgefunden, dass stehen nicht so angenehm ist, wenn dieser komische Druck kommt, weil dann meine Oberschenkel brannten. Sowas komisches hatte ich auch noch nie gefühlt. Als Papa gegen 17.30 Uhr kam, war er nervös. Ich nahm ihn an den Schultern, sagte, er solle jetzt duschen gehen, uns dann eine Brotzeit schmieren – es sei alles gut.
Ich beruhigte ihn (ich glaub, ich hatte immer noch nicht verstanden, dass die Geburt schon voll am Laufen war).
Die Wehen konnte ich mit einer App nicht mehr tracken. Zu sehr konzentrierte ich mich aufs Atmen, einen Knopf auf dem Handy drücken war ein Ding der Unmöglichkeit. Also machte das dann Papa, als er aus der Dusche kam. Alle 3-4 Minuten kam eine Wehe. Er fragte, ob er wohl im Geburtshaus anrufen solle, aber ich meinte: „Eher nein, so schlimm ist es ja noch nicht. Er tat es dann doch. Auf Anweisung von der Hebamme (J. hieß sie, dein Papa kannte sie auch von einem Vorgespräch, was mich sehr freute und irgendwie auch entlastet; durch Corona durfte dein Papa zu fast keinen Terminen mit) ließ er mir eine heiße Badewanne ein, half mir beim Ausziehen. Die Badewanne tat mir sehr gut.
Im Nachhinein erfuhr ich, dass das nur dazu diente, um zu sehen, ob die Wehen weiter kamen oder ob sie durch das warme Wasser wieder nachließen. Papa zerlegte in dem Moment die Küche, ich hörte ein Knallen nach dem Anderen. Da war wohl jemand weiterhin nervös. Es fühlte sich für mich ab einem Moment in der Wanne an, als ob ich Groß müsste. Dies erzählte ich auch deinem Papa, als er kam und mich fragte, wie es mir geht. Auch hier erfuhr ich erst später, dass Papa nochmal mit der Hebamme telefonierte hatte. Aufgrund meiner Beschreibung sagte sie, er solle mich SOFORT aus der Badewanne holen und sicher, aber so schnell wie möglich ins Geburtshaus kommen. Wenn irgendetwas ist, soll er auf dem Standstreifen halten, sie kommt dann. Ich war tiefenentspannt, veratmete meine Wehen und hörte meine Hypnosen.
Die Autofahrt war sehr unangenehm, da ich extrem sensibel war und jedes Loch, jeden Wackler spürte. Aber auch diese 30 Minuten vergingen wie im Flug. Unsere Hebamme erwartete uns schon. Ausziehen, Wehen veratmen, ins Geburtszimmer gehen, Hypnose hören – alles ganz entspannt. Während die Hebamme auf meinen Wunsch das Wasser in die Badewanne einließ, saß ich ganz ruhig auf einem Pezziball, mit einem Tuch unter den Achseln durch, so dass ich mich bei jeder Wehe reinhängen konnte; Papa massierte mir währenddessen den unteren Rücken. Kurz nach unserer Ankunft kam auch schon die 2. Hebamme (20.00-20.15), da sich J. nicht sicher war, wie lange die Geburt überhaupt noch dauern würde. Bevor ich in die Wanne durfte, fragte mich J. noch, ob sie meinen Muttermund überprüfen dürfe, da sie aufgrund meines Verhaltens (ruhig, tief atmend) nicht einschätzen könne, wie weit die Geburt schon fortgeschritten sei. Der Muttermund war super gut, also durfte ich in die Badewanne. Mehr wollte ich auch nicht wissen. Im nach hinein erfuhr ich, dass er schon zu 8 cm (10cm komplett) geöffnet war.
Um ca. 20.30 Uhr ging ich in die Wanne. Papa kümmerte sich spitze um alles! Genau wie wir es besprochen hatten: meine Trinkflasche war da, durch unseren Lautsprecher kam die Hypnose. Für eine kurze Zeit saß ich halb sitzend / liegend in der Badewanne, dann ging ich in den Vierfüßler. Mir wurde übel, ich bekam eine Schüssel, da kam aber nichts. Hat trotzdem geholfen. In dieser Position tauchte ich auch aus Versehen immer wieder mit dem Kopf ins Wasser. Ich wurde dann wieder unruhig und wechselte auf Anraten der Hebamme (das einzige mal, dass sie einen Vorschlag machte) in eine „Froschposition“ zum Beckenrand hin. In den Wehenpausen konnte ich mich über den Wannenrand hängen. Hier war dann auch der Punkt erreicht, an dem ich nicht mehr konnte und wollte. Ich jammerte und schluchzte, dass der Druck immer an derselben Stelle sei und nichts vorwärts gehe. J. motivierte mich, zu fühlen, ob ich das Köpfchen schon spüren könne.
Oh mein Gott – da waren Haare! Auf Nachfrage, wie weit ich meinen Finger noch einführen konnte, konnte ich keine Antwort geben, checkte das aber dann für die Hebamme gleich nochmal. Die beiden Hebammen lachte, weil sie das nur als Motivation für mich gemacht hatten und selbst eigentlich garnicht wissen wollten, wie weit es war. Ihnen war klar, dass es nicht mehr all zu lang dauern würde. Zeigefinger – mittleres Glied. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie lang ich in dieser Position war, aber irgendwann wechselte ich in einen nach links schiefen „Ausfallschritt“. Ab hier hab ich bei jeder Wehe mit gebrüllt. Nicht einmal, weil es so fürchterlich schmerzhaft war, sondern eher, weil ich so viel Kraft benötigte, um unser Baby aus mir heraus zu schieben, dass mir dieses Brüllen in den kurzen Momenten so viel Kraft schenkte. Mein Hals schmerzte! Dieses Gefühl, so unfassbar intensiv, welche Kraft ich aufwenden musste und konnte!
Irgendwie lief alles total intuitiv, ich hatte meinen Kopf einfach aus geschaltet. Die Hebammen und Papa waren stille Begleiter. So, wie ich es mir gewünscht hatte. Total bei mir konnte ich auch genau spüren, wo du warst. Wie ich dich nach vorne gepresst habe und du nach jeder Wehe wieder nach hinten gerutscht bist. Wie sauer und ungeduldig mich das irgendwann machte – du solltest doch raus und nicht wieder zurück!
„Wo ist eigentlich die Fruchtblase? Haben wir die wohl auf dem Weg verloren?”, meinte J.. Ich konnte mich an nichts erinnern. Zwei Wehen später – ein Peng in meinem Bauch.
„Ach, da ist sie ja,“ und da platze sie. Danach veränderte sich das Pressen. Papa wechselte auf Anraten von J. seine Position, so dass er sehen konnte, wenn du geboren wirst. Um 21.36 Uhr kam dein Köpfchen. Wehenpause. Oh mein Gott – da krabbelt etwas in mir drin. Du hast dich gedreht, damit du besser heraus kommst. Das hab ich sogar gespürt! Ein letztes Mal Kraft aufwenden; du bist in die Badewanne geboren worden! Und Papa hat dich aus dem Wasser zu sich genommen und sofort mir weitergegeben.
Du blickst mir in die Augen, gibst einen kurzen Krächzer von dir. Wie unfassbar glücklich ich in diesem Moment bin. Mit den Augen der Nabelschnur hinter her kommt mein Ausruf „Du bist ja a Bua“. Papa nimmt dich nach einer Kuschelzeit in der Badewanne zum Saubermachen und Anziehen mit: Ich kümmere mich kurz um mich selbst. Abduschen, Plazenta gebären, keine Geburtsverletzungen, kaum Blutverlust. Unser kleiner Bua, 50cm, 2730g, total entspannt, kerngesund. Das Stillen klappt im Bett dann auch sofort. Um 01.00 Uhr brechen wir alle drei auf und fahren nach Hause. Eine schönere Geburt hätte ich mir nicht vorstellen können. Es war wunderbar, dieses große Abenteuer Schwangerschaft und Geburt mit dir zu meistern. Unendlich froh bin ich, so viel Vertrauen in uns gehabt zu haben. Dich in den Armen zu halten – so fühlt sich also bedingungslose Liebe an!