Ich berichte euch heute nicht nur von einer sondern zwei Geburten, auf die ich mich mit der “friedlichen Geburt” vorbereitet habe.
März 2020.
Gerade war Deutschland in den ersten Corona-Lockdown gegangen. Ich saß im Homeoffice und draußen fuhr die Feuerwehr mit Lautsprecherdurchsagen über die Straßen. Ein Gefühl wie im falschen Film. Nach meiner Periode konnte man eigentlich die Uhr stellen, aber dieses Mal war es anders. Es kamen nur ein paar Tropfen Blut, und das auch noch leicht zeitversetzt. Ich schob das auf die Gesamtsituation, obwohl mir eine solch empfindsame Reaktion überhaupt nicht ähnlich sieht. Meine Kollegin, die von unserer Familienplanung wusste, kommentierte das nur mit den Worten “Sarah, Einnistung kann auch bluten”. Am Karsamstag hielt ich einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand.
Ich wusste von einer Freundin, die zwei Kinder mittels Eigenhypnose nach eigener Aussage “fast schmerzfrei” zur Welt gebracht hatte. Ich machte mich auf die Suche nach dieser Methode und stieß auf die “friedliche Geburt”.
Im Lockdown und Homeoffice hatte ich alle Zeit der Welt, mich einfach auch einmal für ein paar Minuten zurückzuziehen und in Meditation und Tiefenentspannung zu üben. Ich sprach und spreche nie von Hypnose, weil mir das Wort und der Zustand zu abstrakt sind. Ich fühlte mich wohl in der Entspannung und spürte, wie gut es mir tat. Ich übte fleißig die Atmung und freute mich schon, sie im Ernstfall einzusetzen. Der Kurs verband mich tief mit meinem Geist*, meiner Schwangerschaft und dem Baby, das in meinem Bauch wuchs.
An einem Sonntag Ende November veränderten sich über den Tag hinweg die Übungswehen. Ich habe lange nicht geschnallt, dass es nun tatsächlich losgeht. Ich ging spazieren und stellte fest, dass die Wellen sich dabei häuften. Also legte ich mich wieder auf die Couch und gab mich der Entspannung hin. Als die Wellen intensiver wurden und der Muttermund seine aufgenommene Arbeit mit Blut in der Hose belegte, riefen wir die Hebammen im Geburtshaus an und bestellten Pizza. Um zirka 22.30 Uhr telefonierte ich zum letzten Mal mit der Hebamme und beschloss, mich noch einmal hinzulegen.
1.30 Uhr am Montagmorgen.
Eine Welle reißt mich aus dem Schlaf. Ehe ich wach genug bin um zu begreifen, was mit mir passiert, muss ich die nächste Welle vertönen. Mein Mann ruft die Hebamme an und wir fahren ins Geburtshaus. Ich kann nur noch auf der Rückbank liegen und konzentriere mich darauf, dem Drang zu pressen noch nicht nachzugeben. Ich nehme die Kopfhörer ab, weil ich die Meditation unter Geburt nicht mehr hören kann. Ich versuche, die Atemtechnik anzuwenden und bin augenblicklich froh, dass ich eine weitere Variante im Geburtsvorbereitungskurs gelernt habe. Die Atmung tief in den Bauch zerreißt mich schier.
Es ist halb 3 am Morgen, als wir im Geburtshaus ankommen. Die Hebamme untersucht den Muttermund und ist etwas überrascht, nur noch einen Saum zu spüren. Sie schlägt mir die Geburtswanne vor. Ich bin gar nicht sicher, ob ich es bis dahin überhaupt noch schaffe. Auf dem Weg in die Wanne platzt die Fruchtblase und um halb 7 am Morgen kommt unsere erste Tochter als Wassergeburt zur Welt. Geschafft! Aber jetzt komme ich aus der Wanne nicht mehr hinaus. Mein Kreislauf lässt mich bei jedem Versuch, auszusteigen, zusammensacken. Bald steht fest: die Plazenta ist nicht vollständig. Notverlegung in die Klinik. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Ich halte es nicht länger als eine Nacht aus. Mit Einverständnis der Ärztin lasse ich mich nach einer Höllennacht am nächsten Tag gleich wieder entlassen. Zu Hause fühle ich mich geborgen und kann nun die erste Zeit mit Baby genießen.
Januar 2023.
Mittlerweile ist die Große 2 Jahre alt und wir sind wieder schwanger. Es scheint zu halten. Drei Fehlgeburten liegen seit der Geburt unserer Tochter hinter uns. Ich freue mich, nun endlich soweit zu sein, meinen Account bei der “friedlichen Geburt” reaktivieren zu lassen.
Doch einiges hat sich seit der Anmeldung 2020 verändert. Am Vormittag sitze ich wieder im Büro und am Nachmittag fordert die Tochter all meine Aufmerksamkeit. Die zweite Schwangerschaft ist körperlich deutlich anstrengender. Die “friedliche Geburt” wiederhole ich auf dem Arbeitsweg in der S-Bahn, so lange wir in keinen Tunnel fahren. Auch beim Kurs hat sich einiges verändert, aber ich kenne das meiste und fühle mich gleich wieder wohl. Zeit für die Meditation ist jedoch rar und so verlasse ich mich darauf, dass Körper und Geist nicht vergessen haben, was wir tun müssen.
Ende Juli geht es los. Wieder stelle ich an einem Sonntag fest, dass sich die Wellen verändern. Ich bringe die Große ins Bett, die lange braucht, um einzuschlafen. Schon während der Begleitung spüre ich, dass die Wellen intensiver werden. Endlich schläft sie und ich stehe auf. Hoher Blasensprung. Wieder rufen wir die Hebammen an. Deren Einschätzung: „Du hörst dich noch sehr entspannt an, du hast noch Zeit. Komm jederzeit her, wenn du dich damit besser fühlst. Aber ich glaube, es ist noch früh.“
Noch ca. 1,5h liege ich auf der Couch, spüre in mich hinein und begrüße jede Welle, versuche bewusst, mich im Moment des herannahenden Schmerzes zu entspannen und es einfach über mich hinwegströmen zu lassen. Es klappt! Auch ohne Meditation auf den Ohren. Die Atmung hilft mir dieses Mal. Es tut gut, in die Welle hineinzuatmen.
Es muss wieder gegen 22.30 Uhr gewesen sein, als ich entscheide, dass wir nun losfahren. Dieses Mal möchte ich senkrecht im Geburtshaus ankommen. Jedes Schlagloch und jede Bodenwelle schütteln mich durch. Vor der letzten Schwelle auf die kopfsteingepflasterte Straße zum Geburtshaus bitte ich um Pause. Mein Mann ist unruhig, er will nicht mitten auf der Biegung stehen bleiben. Es ist kurz vor 0 Uhr an einem Sonntag und wir sind in München, hier gehört es zum guten Ton, mitten auf der Straße stehen zu bleiben!
Die Hebamme öffnet uns um Punkt Mitternacht die Türe. Sie begleitet uns ins Geburtszimmer und lächelt: „Du bist ja entspannt. Also das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass ihr zwei Stunden zu früh seid.“
Wir liegen ca. eine halbe Stunde auf dem Geburtsbett. Jede Welle wird schnell intensiver. Ich beginne, intensiv zu vertönen. Ich bin voll im Frontal Cortex, keine Chance, wieder in die Tiefenentspannung zu kommen. Ich kann die Wellen nicht mehr willkommen heißen, weil sie plötzlich nur noch über mich hinwegrollen. Die nächste Welle lässt die Fruchtblase platzen – der Wasserabgang macht dem Wort Welle alle Ehre! Ohne Pause scheint sich die Welle sofort noch einmal aufzubäumen und ich spüre den Kopf fest im Becken! Was ist aus „Vor – Zurück – Vor – Zurück“ geworden?!?
Die nächste Welle weghecheln und kurz verharren. Nächste Welle – der Kopf ist draußen. Mit Welle 4 kommt unsere zweite Tochter auf einem weiteren Schwall Fruchtwasser auf die Welt gesurft. Ich bin erschöpft, die Beine zittern unkontrolliert. Die zweite Hebamme, die immer unter Geburt dazu geholt wird, kommt 5 Minuten zu spät durch die Tür. Der Hebammenschülerin sagt man ab. Es ist schon alles gelaufen. Und die Plazenta? Es glückt! Ohne weitere Verluste schließt eine sehr große, vollständige Plazenta mit drei Satelliten eine schnelle Geburt ab. Es ist 1.44 Uhr. Wie gut, dass wir nicht zwei Stunden später gekommen sind. Um halb 6 am Montagmorgen fuhren wir wieder nach Hause. Ich trank einen Kaffee, bevor wir meine Mutter und die frischgebackene Schwester aufweckten. Die Große hat nicht einmal mitbekommen, dass wir weg waren.
Keine meiner beiden Geburten war eine (oder meine) Traumgeburt. Die erste Schwangerschaft war eine Traumvorbereitung. Die zweite war eine Traumnachbereitung. Wir erfüllten uns den Wunsch, die ersten Stunden in aller Ruhe im Geburtshaus zu verbringen. Die Hebammen indes haben die Situation in beiden Fällen unterschätzt. Ich war jeweils in der Lage, die Geburt bis zu einem gewissen Punkt entspannt voranzubringen. Rückblickend war ich bei der ersten Geburt so sehr bei mir selbst, dass ich außen herum kaum oder gar nichts mitbekommen habe. Und das Feedback der Hebammen war beide Male gleich: Du warst so entspannt, ich hätte nicht damit gerechnet, dass du schon so weit bist.
Ich habe keine Geburt ohne die Vorbereitung mit der „friedlichen Geburt“ erlebt. Ich kann nicht einschätzen, ob ich auch ohne Vorbereitung in der Lage gewesen wäre, so entspannt zu bleiben. Fakt ist, dass ich mich schon in der Schwangerschaft mit der Vorbereitung durch den Kurs sehr wohlgefühlt habe. Die Mischung aus Wissenschaft, Medizin und Geistesübungen hat mich optimal an die Hand genommen. War ich beim Üben tatsächlich in Trance? Ich habe mich selten so gefühlt. Aber unter der ersten Geburt war ich es sicher. Ganz bestimmt ist das hier keine Garantie für eine schmerzfreie Geburt, nicht mal, wenn man schon „geübt“ ist. Aber das ist auch nicht das Ziel. Wer das versteht, profitiert viel umfassender von der „friedlichen Geburt“.