Geburt in Brüssel am 25.2.2022
Teil 1: „My body, my choice“ oder: keine Einleitung ohne medizinische Indikation
Der errechnete Geburtstermin am 13. Februar war gekommen und gegangen, ohne dass ich nennenswerte Veränderungen wahrgenommen hatte. Ja, auf dem Rücken liegen war jetzt definitiv nicht mehr so angenehm und in der Küche mussten wir uns schon sehr konzentriert aneinander vorbei manövrieren, um der Himbeer-Kugel Platz zu machen (Anm: Himbeere war unser Arbeitstitel). Aber auch bei langen Spaziergängen zu den verschiedenen Hausbesichtigungen und bei der Schwangerschafts-Step-Aerobic spürte ich noch nicht, dass es „jetzt jeden Moment losgehen“ könnte. Am 19.2. waren wir beim Black-Tie Geburtstagsdinner einer Freundin und es war einfach ein wunderbarer Abend (als ich erzähle, dass der Termin schon vor einer Woche war, ernte ich entsetzte Blicke, als ob sich jetzt jede Sekunde ein Köpfchen unterm Kleid rausschieben könnte – wir schauen alle zu viele amerikanische Filme!!).
Mit Beginn der 41. SSW wurde der Druck dann aber spürbarer. Unsere Hebamme D. hatte uns erklärt, dass man in Belgien bei 42+0 einleiten müsse. Da das bei uns ein Sonntag wäre, würde schon am Freitag vorher eingeleitet werden müssen, am 25.2. Ich empfand einen starken Widerwillen gegen diese willkürlich verfrühte Einleitung. Der Ultraschall, der den Geburtstermin festlegt, findet im ersten Trimester statt. Der Termin wird aus dem Gesamtbild verschiedener Messungen wie Körpergröße, Bauch- und Kopfumfang errechnet. Insgesamt ist ein Embryo in der 13. SSW ca 6-7 cm lang und die Messungen in den Ultraschallaufnahmen sind sicher keine hochpräzise Wissenschaft. Ob da nun 13. oder 14.2. als Termin errechnet wird, ist letztlich totaler Zufall. Mir ging es wunderbar und ich fand, ohne irgendeine medizinische Indikation war auch Montag für eine Einleitung noch früh genug. Ich wollte unserem Baby und mir diese drei letzten Tage auf jeden Fall lassen.
Am Montag, 21.2. und 41+1, kamen D. und ihre Praktikantin V. bei uns nach Hause zur Untersuchung. D. versuchte, die Geburt durch Eipolablösung in Gang zu bringen. Dazu wird die Fruchtblase mit der Hand sanft von der Gebärmutter gelöst, was Prostaglandine freisetzt, die dann die Wehen auslösen sollen. Die Prozedur war nicht schmerzhaft, wenn auch ein etwas komisches Gefühl. In den Stunden danach hatte ich leichte Schmerzen, ähnlich wie Regelschmerzen, aber sonst tat sich nichts.
Auch am Dienstag, 41+2, zeigte sich keine Veränderung und wir brachten weiter den ganzen Werkzeugkasten der Hebammenkunst zur Anwendung mit Nachtkerzenöl, Nelkentampon, Akupressur, Fasten und Einlauf. Weil wir nichts unversucht lassen wollten, warf ich großzügig leicht frittierte Chillirädchen über meinen Salat und Brokkoli, streute Nelken und Zimt in meinen Himbeerblätteetee (kein geschmackliches Großereignis!) und stieg Treppen, soviel ich konnte. All das hatte jedoch keinen spürbaren Effekt und bestärkte mich nur weiter in der Überzeugung, dass viel zu viel in der Geburtshilfe unwissenschaftlicher Aberglaube ist.
D. hatte uns auch den Rizinuscocktail in Aussicht gestellt: ein weiterer sog. „altbewährter Trick“ zur Geburtseinleitung. Rizinusöl und Kräuterschnaps mit Aprikosensaft. Mir war überhaupt nicht wohl bei dem Gedanken daran. Ganz abgesehen von dem Alkohol – seit Monaten verzichtete ich jetzt auf jeden noch so kleinen Schluck Wein zum Kochen und plötzlich sollte ich Schnaps trinken?! – stand auf dem Rizinusöl explizit „nicht zum Verzehr geeignet“, denn nach der Einnahme muss man sich übergeben; Das ist tatsächlich der erwünschte Effekt, denn Ziel ist es, durch die Darmbewegungen auch die Gebärmutter in Bewegung zu bringen, ähnlich wie beim Einlauf. Geburtsberichte, die ich gelesen hatte, sprachen aber von starken Krämpfen und davon, dass Frauen durch das viele Übergeben sehr geschwächt in die Geburt starteten. Das wollte ich vermeiden! Trotzdem besorgten wir die Cocktail-Zutaten, denn das wäre vielleicht noch besser als eine medikamentöse Einleitung. Gleichzeitig hoffte ich sehr, dass wir sie nicht brauchen würden und die kleine Himbeere sich doch noch von alleine auf den Weg machen würde.
Am Mittwoch, 41+3, war Termin für Monitoring/CTG im Krankenhaus. D. hatte morgens geschrieben, dass wir dort auch gleich fragen sollten, wann wir am Freitag zur Einleitung erscheinen müssten. Das klang so, als sei die Einleitung für sie schon beschlossene Sache… Im KH waren aber Herztöne, Fruchtwasser und Plazenta wunderbar – die kleine Himbeere fühlte sich also weiterhin rundum wohl. Anschließend bat ich nochmal um eine Eipolablösung. Allerdings meinte die Hebamme dort, der Muttermund sei noch zu wenig geöffnet und sie könne nicht viel machen… Obwohl es mir und dem Baby weiterhin gut ging, deuteten jetzt also alle Zeichen auf Einleitung am Freitag. Als wir auf der Suche nach dem Ausgang durch die sterilen Krankenhausflure irrten, war es, als würden die Wände immer näher kommen und mir die Luft zum Atmen nehmen. Auf dem Heimweg mit P. fing ich an, zu weinen, ich konnte gar nicht mehr aufhören. Ich fühlte mich so hilflos und einem unfreundlichen System ausgeliefert. Auch war ich so enttäuscht, dass unsere Hebamme D., die doch auf unserer Seite sein sollte, uns so gar nicht unterstützte. Im Gegenteil, sie war ja diejenige, die uns gesagt hatte, wir seien rechtlich zur Einleitung am Freitag verpflichtet!
Als wir nach Hause kamen, legte ich mich ins Bett und versuchte, mich zu beruhigen. Lange lag ich da und hörte meine vertrauten Hypnosen und Schwangerschaftsmeditationen („Die friedliche Geburt“ und „Expectful“). Das half sehr und gab mir wieder die nötige Ruhe. Am Abend war mir klar: Nein, ich würde ohne jegliche medizinische Indikation am Freitag keine Einleitung machen lassen. Denn es ist mein Körper und ich entscheide, was damit geschieht! Nachdem mir das so klar geworden war, ging es mir sehr viel besser.
Meine Frage am Abend an die Hebammen, ob ich denn nun den Rizinuscocktail nehmen sollte, verneinten sie. Stattdessen sollten wir am nächsten Tag für ein „Einleitungsritual“ ins Geburtshaus Eclore kommen. Dabei sollte noch mal alles versucht werden. Unsere zweite Hebamme würde nun S. sein, weil M. nach einer schwierigen Geburt eine persönliche Auszeit nehmen musste. S. ist die Gründerin von Eclore und die erfahrenste unter den Hebammen.
Am Donnerstag fanden P. und ich uns also um 13:30 Uhr im Geburtshaus ein. Das Geburts“haus“ ist eine Einliegerwohnung im Tiefparterre einer eleganten Villa in Uccle (Anm.: Stadtteil von Brüssel): neben dem Wohnzimmer mit Blick in den schönen Garten und mit Küchenzeile gibt es ein kleines Behandlungszimmer, wo die Untersuchungen während der Schwangerschaft stattgefunden hatten und das Geburtszimmer, in dem das Bett und ein kleines Sofa standen. Da es nur ein Zimmer gibt, werden pro Monat nur zwei Geburten angenommen.
Vor Beginn der Behandlung wies uns D. nochmal auf die „verpflichtende Einleitung“ am nächsten Tag hin. Ich erklärte daraufhin nur, dass wir die Einleitung am Freitag nicht machen lassen würden. D. entgegnete, sie hätte schon befürchtet, dass es da ein „Missverständnis“ gebe… Ich ließ mich davon nicht beirren und fragte stattdessen zurück, wer denn genau verpflichtet sei und wozu. Und jetzt räumte auch D. ein: die Hebammen sind zur Aufklärung der Schwangeren verpflichtet, nicht etwa die Schwangere zur Einleitung. Nachdem wir schon wieder eine viertel Stunde diskutiert hatten, kam S. dazu. Ich wiederholte meine Argumentation und S. zeigte sich auch nicht glücklich angesichts unserer Entscheidung – gab uns aber endlich das Gefühl, dass es hier tatsächlich etwas gab, das wir entscheiden konnten! Sie meinte, auch am Montag sei eine Einleitung möglich und sie würden versuchen, das für uns im KH zu organisieren. Gleichzeitig würden sie zur rechtlichen Absicherung in ihren Unterlagen festhalten, dass sie uns über die Risiken aufgeklärt und eine Einleitung am Freitag empfohlen hatten. Na bitte, geht doch!
In diesem Moment fiel eine riesige Last von mir. Denn obwohl ich eine Einleitung ohne Indikation auf jeden Fall vermeiden wollte, wollte ich doch gleichzeitig das Verhältnis zu unseren Hebammen nicht gefährden und nicht gegen sie handeln. Auch nach einer Einleitung wollte ich die Geburt schließlich mit dem Eclore-Team in St Elisabeth machen.
Nun konnte es also losgehen mit dem Ritual: Schweden-Kräuter zum Trinken, Akupressur, Vier-Hand-Massage, ätherische Öle (mal wieder das gute Nelkenöl…) und dann als zentrales Element wieder Gebärmutterhals- und Muttermundmassage durch S., und Eipolablösung inklusive Visualisierung der Öffnung des Muttermundes. Die Eipolablösung war wieder nicht besonders angenehm, aber nicht schmerzhaft. Am Schluss sagte S.: „Ta fille aimerait bien te dire qqch: Tu es déjà une Maman formidable!“. Das war ein sehr emotionaler Moment und ich fühlte nochmal einen großen Druck von mir abfallen. Tatsächlich hatte ich ja das Gefühl gehabt, hier für mein Baby und ihre letzten zusätzlichen Tage in meinem Bauch einzustehen und es fühlte sich gut an, dass ich mich damit hatte durchsetzen können.
Um 15.30 Uhr war die Behandlung fertig. D. und S. gingen nach Hause und luden uns ein, noch auszuruhen, so lange wir wollten. So hielten P. und ich auf dem Bett im Geburtszimmer noch ein bisschen Mittagsschlaf.
Teil 2: „Le jour J“ (Anm.: in etwa “Der Tag X”)
Schon wenig später, gegen 16 Uhr, spürte ich, wie etwas los ging. Ich setzte die AirPods ein und begann mit der Geburtsmeditation der „Friedlichen Geburt“. Ich merkte, dass die Bewegung nicht mehr aufhören würde und hatte das Bedürfnis, mich jetzt ganz darauf konzentrieren zu können. Daher übergab ich dann alle Verantwortung für den „äußeren Raum“ an P.. Das fühlte sich sehr gut an und wie eine große Unterstützung, denn ich wollte wirklich nur noch bei mir und dem großen Abenteurer sein, das bevorstand. Die Wellen waren von Anfang an viel intensiver und häufiger, als ich es für den Beginn und die Latenzphase erwartet hatte. P. machte sich um 17:00 Uhr auf nach Hause, um unsere Tasche zu holen, denn natürlich hatten wir nichts dabei. Ich bekam zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr viel mit, hatte die Augen geschlossen und war recht gut in Hypnose. Als P. weg und ich ganz allein und für mich war, konnte ich mit diesen ersten Wellen noch besser umgehen. Mit viel Konzentration habe ich es gut geschafft, jeweils unten in Hypnose zu bleiben. Bei den Wellen, wo das geklappt hat, war es tatsächlich nicht schmerzhaft. Stattdessen war ein Druck spürbar und eine Dehnung. Ganz am Anfang hatte ich ein paarmal das Gefühl, dass die tiefe Bauchatmung hilft. Das war aber schon nach circa ein bis zwei Stunden nicht mehr der Fall und dann hat die Bauchatmung den Schmerz eher verstärkt, so dass ich wieder damit aufgehört habe. Die ganze Zeit habe ich auch die Öffnung des Muttermundes visualisiert während der Wellen.
Gegen 18 Uhr war P. wieder da – der Uberfahrer hat sich offenbar ein paarmal verfahren! Zu dem Zeitpunkt waren die Wellen schon sehr intensiv und haben meine volle Konzentration erfordert. Dadurch, dass ich so gut in Hypnose bleiben konnte, sah es aber offenbar so ruhig aus, dass P. erst mal noch niemandem Bescheid gab. Die Wellen waren von Anfang an mindestens alle 5 Minuten, da ich ab Beginn mindestens zwei Wellen pro 10-minütiger Meditationsschleife hatte. Aber auch um 19 Uhr konnte ich die Wellen noch so gut veratmen, dass P. den Hebammen sagte, sie kämen nur alle 15 Minuten. Daraufhin empfahl S. ein warmes Bad. Kurz darauf, gegen 19.15 Uhr, habe ich mich das erste Mal übergeben, es kam nur Spucke. Der Geruch der Badewanne mit Grapefruitöl gegen 19.40 Uhr roch für mich ganz, ganz übel nach Fisch und ich zog mich sofort wieder ins Schlafzimmer zurück. Gegen 19.50 Uhr fragte ich, ob P. schon den Hebammen Bescheid gegeben hätte, denn ich hatte das Gefühl, dass es wirklich sehr intensiv war und ich gar keine Pause zwischen den Wellen mehr hatte. Um das Gefühl zu verifizieren, sagte ich P. eine Zeit lang bei jeder Welle Bescheid und siehe da: alle drei Minuten. Die Hebammen wussten da immer noch nicht Bescheid: Um 19.54 Uhr schrieb S. noch, dass wir doch spazieren gehen sollten und dass die Wellen jederzeit wieder aufhören könnten…! Als Philipp dann antwortete, die Wellen seien alle drei Minuten, wurde uns nochmal die Badewanne empfohlen.
Ich hatte ständig das Gefühl, ich müsste auf die Toilette und dadurch könnte es besser werden und der Druck nachlassen. Das wurde es auch, aber immer nur kurzfristig und wenn die Welle mich erwischte, wenn ich gerade saß oder ging, war es kaum auszuhalten. Um 20.15 Uhr habe ich mich das zweite Mal übergeben, als ich gerade auf der Toilette war. Wenn ich ganz ruhig und konzentriert liegen blieb und in Hypnose war, waren die Wellen am besten zu ertragen. Das war allerdings kontraintuitiv; denn ich hatte einen starken Impuls, mich von dem Schmerz wegzubewegen. Durch das Aufstehen bin ich aber immer so aus der Hypnose geflogen, dass es dann viel schlechter auszuhalten war.
Die Wellen gingen ca. alle 3-5 Minuten weiter. Um 21.20 Uhr habe ich mich zum dritten Mal übergeben, Philipp hatte vorausschauenderweise neben dem Bett schon den Eimer bereitgestellt.
Diese ganzen ersten Stunden erlebte ich wie wie im Tunnel. Das Gefühl ist schwer, zu beschreiben. An etwas Ähnliches erinnere ich mich nur aus meiner Kindheit, wenn ich krank war und mit hohem Fieber die Barriere zwischen Traum und Wirklichkeit aufgehoben schien. Ich war ganz eingenommen von den ganzen körperlichen Vorgängen, war sehr konzentriert und hatte überhaupt keinen Gedanken an Anderes. Es war also nicht so wie sonst in Meditation oder beim Üben der Hypnose, dass die Konzentration ihrerseits Konzentration kostet.
Das Anker-setzen klappte nicht richtig. Das Wachholderöl, das ich ausgesucht hatte, fand ich plötzlich abscheulich. Auch der Streichel-Anker klappte nicht und den Wort-Anker konnte ich durch die Kopfhörer nicht hören. Insgesamt brachte mich das Ankersetzen eher raus und dadurch nahm ich die Welle stärker wahr. Sehr hilfreich und angenehm war dagegen in dieser ganzen Zeit das Heizkissen unter meinem Rücken.
Um 22.11 Uhr fragte S. in der WhatsApp-Gruppe, ob jemand kommen sollte und P. bejahte. Die Wellen kamen weiterhin alle 3-5 Minuten und ich spürte ein starkes Druckgefühl im Rektum. Um 23.25 Uhr kam endlich D.. Mit ihrer und P.’s Hilfe zog ich schonmal die Hose aus. Um 23.37 Uhr war der Muttermund laut Hebammenbericht bei 4 cm, Gebärmutterhals kurz. Um 23.57 Uhr wurde der Pool aufgebaut. Das war wohl sehr laut, sagte P., ich bekam davon durch overear-noise cancelling Kopfhörer und Hypnose kaum etwas mit. Um 23.59 Uhr notierte P. Wellen alle drei Minuten, „wie ein Schweizer Uhrwerk“. Um 0.11 Uhr startete P. die Hypnose-Aufnahme nochmal neu. Eine Aufnahme geht 4 Stunden, das bedeutet, dass ich um ca. 16.11 Uhr mit der Hypnose angefangen habe. Um 0.24 Uhr durfte ich endlich (!) in den Pool, worauf ich seit drei Stunden gewartet hatte. Das Becken war noch nicht ganz voll, aber das warme Wasser war sehr angenehm. Und dann ging es ganz schnell: Um 0.48 Uhr maßen die Hebammen eine Öffnung von 7 cm, der Gebärmutterhals ist dick („épais“). D. gab S. Bescheid.
Um 1.16 Uhr kam Va., die Praktikantin. Ihre ruhige Gegenwart war wie immer sehr angenehm und gab mir Kraft. Gegen 1.50 Uhr wurde der Druck immer stärker. P. erinnerte sich an den Tipp, durch Druck auf’s Kreuzbein gegenzuhalten und das war eine tolle Erleichterung. Ich dirigierte mit „mehr“, „höher“, „weniger“, „fester“ etc. Der Winkel war für P. vom Beckenrand aus maximal unpraktisch und am nächsten Tag würde er Muskelkater haben…
Um 2.30 Uhr musste ich aus dem Pool. Man darf – angeblich laut belgischer Vorgabe – maximal 2 Stunden drin bleiben, um den Kreislauf nicht zu sehr zu beanspruchen. Aus dem warmen Wasser zu steigen, war sehr unangenehm. Die Schmerzen waren sehr viel stärker ohne das warme Wasser (längst kann ich die Wellen nicht mehr voll in Hypnose kontrollieren). Beim Herausklettern erwischte es mich voll. Gar nicht schön. Diese 2-Stunden-Regel ist ziemlich gemein und willkürlich… Mit Hilfe der Hebammen legte ich mich wieder auf’s Bett.
Eine Übergangsphase habe ich nicht aktiv als „Krise“ oder ähnliches wahrgenommen. Die Zeit kam mir aber irgendwann sehr lang vor. Wenn die Notizen stimmen, hatte ich ab ca. 19 Uhr, also seit 7,5 Stunden, alle 3 bis 5 Minuten Wehen.
Irgendwann wurde der Pressdrang dann immer stärker. So richtig kann ich aber nicht sagen, wann die Presswehen anfingen. Es war eigentlich schon eine ganze Weile so (auch schon im Pool?), bevor S. mich auf dem Bett untersuchte, um zu bestätigen, dass ich jetzt mitschieben könne (3.04 Uhr, 10 cm, Fruchtblase noch intakt). Nach der Untersuchung durfte ich dann aber endlich wieder in den Pool und das Finale begann.
Es war jetzt nicht mehr daran zu denken, die Wellen konzentriert zu veratmen. Die Gewalt, mit der es da aus einem raus drückt, ist unbeschreiblich. Glücklicherweise war der Pool da. Ich kniete darin, hing mit den Armen über dem Rand und schrie bei jeder Welle in den Gummi. Dabei hielt ich P.’s Hand fest. Er drückte weiter gegen meinen unteren Rücken, auf Ebene des Kreuzbeins, das half enorm. Wenn er nicht gleich da war oder den Punkt nicht gleich getroffen hat, war ich fast panisch. Denn die Kraft war jetzt jedes Mal wieder wie eine meterhohe Welle, von der ich nicht wusste, ob ich den Kopf über Wasser halten können würde.
Triggerwarnung: leichte Geburtsverletzung!
Laut Notizen der Hebammen begann die Austrittsphase um 3.25 Uhr, Gesamtdauer also 1 Stunde 40 Minuten.
Um 4.18 Uhr regten die Hebammen an, ich solle eine andere Position probieren. P. stieg mit in den Pool und ich lehnte mich sitzend an ihn an. Obwohl diese halb zurückgelehnte Position ja nicht empfohlen wird, tat der Hautkontakt zu P. gut, ich fühle mich sehr gestützt und gehalten. Allerdings wurden jetzt meine Schreie nicht mehr vom Beckenrand gedämpft. Ich habe noch nie in meinem Leben so geschrieen. Und alles direkt neben P.’s Ohr… Irgendwann meinte S., ich solle doch einen Teil meiner Energie nach unten kanalisieren, anstatt sie herauszuschreihen. Das funktionierte und ich konnte so kraftvoller nach unten mitschieben. Mir war tatsächlich bis zuletzt nicht klar gewesen, was ich hier eigentlich machen soll. Ich hatte so oft gehört und gelesen, wie natürlich alles abläuft und dass „mein Körper“ alles von alleine macht, dass ich nicht auf den Gedanken gekommen war, ich müsste hier körperlich einen bestimmten Prozess unterstützen. Schließlich spürte ich, wie das Köpfchen am Damm anstieß. Mit jeder Welle kam es ein Stück raus und flutschte dann wieder zurück. Ich wusste, dass dieses Vor und Zurück seinen Sinn hat und hilft, Geburtsverletzungen zu minimieren. Schließlich ging das Ganze aber so lange, dass ich besorgt war, mein Baby würde eine noch längere Pressphase nicht gut überstehen. Die Hebammen nahmen immer wieder die Herztöne und es war alles in Ordnung, aber schließlich dachte ich „Augen zu und durch“ und presste H.’s Kopf, 35cm Umfang, nach draußen (5.01 Uhr). Dabei riss die rechte kleine Schamlippe, der Damm blieb dafür heil. S. führte meine Hand zum Köpfchen und in dem Moment strampelte H. und kickte gegen die Bauchdecke. Ich zuckte erschreckt zurück. Das war so ein irres Gefühl, ein kleiner Kopf schaute aus mir raus und den restlichen Körper spürte ich in meinem Bauch!! Dann rollte schon die nächste Welle heran und der Körper kam heraus. Um 5.03 Uhr war H. geboren! Ich war so überwältigt und fassungslos angesichts dieses unglaublichen Erlebnisses, dass ich sie nicht hätte auffangen können. Die Hebammen legten sie mir gleich auf den Bauch und P. und ich hielten sie zum ersten Mal im Arm. Nach ein paar Minuten halfen mir alle gemeinsam im Pool auf die Beine – ganz schön wacklig! -, ich hielt weiter H. fest an mir und wurde von vielen Händen gleichzeitig abgetrocknet und in einen warmen Bademantel gepackt. Ich legte mich aufs Bett, H. weiter auf meinem Bauch. Wir versuchten den Breast Crawl, das klappte aber nicht sofort. Mit ein bisschen Hilfe von S. konnte H. dann das erste Mal an der Brust andocken. Kurze Zeit später, um 5.37 Uhr, kam die Placenta. Danach wurde der kleine Riss in der Schamlippe mit drei Stichen genäht.
3.290g, 50cm, 35 cm Kopfumfang, APGAR 9/10/10.
Gegen 19 Uhr riefen wir uns ein Uber und fuhren nach Hause. Ich war sehr vorsichtig und alles war noch etwas wackelig, aber insgesamt ging es mir schon sehr gut.
Nachlese
Am Ende des Einleitungsrituals und der Massage des Gebärmutterhalses hatte S. ja zu mir gesagt: «Ton bébé aimerait te dire que tu es déjà une maman formidable». Beim Wochenbettbesuch erzählte sie mir, in diesem Moment hätte der Gebärmutterhals/Muttermund richtig losgelassen. S. erzählte mir auch, im Hinausgehen nach dem „Ritual“ hätte sie zu D. gesagt, ich hätte mein Einleitungsritual in den ersten 10 Minuten selbst gemacht, als ich einfach gesagt hatte, nein, ich lasse mich morgen nicht einleiten. Diese Feststellung von S. deckt sich mit meinem Eindruck: das Gefühl, die Kontrolle zurückerobert zu haben und selbst über mich und meinen Körper entscheiden zu können, war für mich absolut essentiell. Ab diesem Moment konnte ich mich wieder auf alles einlassen, was da kommen würde. Bei einem ihrer Wochenbettbesuche gratulierte auch D. mir, wie bestimmt ich den Prozess gemanagt hätte, und bedankte sich bei mir: Sie hätte viel von mir gelernt! Das fand ich ziemlich groß von ihr.
Laut S. war Beginn der aktiven Phase gegen 22:00 Uhr, nach ihrer Rechnung daher 7 Stunden Wehen bis zur Geburt. Diese Einteilung in klar abgrenzbare Phasen habe ich aber so nicht erlebt. Vielmehr ging es kontinuierlich nach oben, mit dem ein oder anderen Plateau zwischendrin. Wenn ich die ganze Geburt nochmal Revue passieren lasse und die Aufzeichnungen der Hebammen sehe, denke ich, dass es noch schneller gegangen wäre, wenn ich früher in den Pool gekonnt hätte. Ab 22h hatte ich eigentlich dieses Bedürfnis, aber bis dann endlich jemand da war, der Pool aufgebaut war und ich auch rein durfte, war es fast drei Stunden später.
Fazit
Ich würde nicht sagen, dass die Geburt ein „magisches“ Ereignis war oder irgendwie sowas. Es war schmerzhaft und anstrengend. Aber ich konnte damit umgehen und es ist einfach ein total krasses Erlebnis. Ich glaube, was sich so existenziell anfühlt, ist, dass man einfach nicht weiß, was als Nächstes kommt. Man springt mit vollem Anlauf in ein schwarzes Loch. Das hat man sonst als Erwachsener nie. Wirklich toll und auf eine Weise doch traumhaft war, wie super P. und ich als Team funktioniert haben. Ich wusste, dass ich mich zu 100% auf ihn verlassen kann und dass er sich um alles kümmern würde. Ich habe während der gesamten Geburt nur mit ihm kommuniziert, bis auf die allerletzten Minuten der Austrittsphase. So konnte ich mich ganz auf mich konzentrieren und das war super.