Geburtsbericht M.L.: Vertrauen statt Angst
ET: 2.2.21, Geburt: 8. Februar um 3.16 Uhr in der GPR Klinik in Rüsselsheim // 3.540g, 54 cm, KU 37cm
Wir schwingen uns ein
In der Nacht vom 5. zum 6. Februar kommen die Wellen über Stunden regelmäßig und im Abstand von 5-8 Minuten. Ich bin nicht sicher: Geht’s jetzt schon los? Vorsichtshalber hüpfe ich noch unter die Dusche, bevor mein Mann und ich gegen 5 Uhr morgens beschließen, uns auf den Weg ins Krankenhaus zu machen. Kaum sitze ich im Auto, sind die Wellen weg. Obwohl ich weiß, dass das „Oxytocin sich verhält wie ein scheues Reh“, glaube ich, dass wir wieder nachhause geschickt werden. Im Krankenhaus stellt sich heraus, dass der Muttermund noch unreif ist und nicht einmal tastbar. Auch das CTG zeichnet kaum Wellen auf, daran ändert auch ein zweistündiger Spaziergang nichts. Ich bin trotzdem nicht enttäuscht. Ich bin sicher, dass wir diese Generalprobe gut gebrauchen können und bleibe gelassen. Wieder zuhause, kann ich mich noch ein bisschen ausruhen. Das ist gut, denn am Nachmittag werden die Wellen wieder kräftiger und ich verbringe die Nacht mit der Geburtshypnose auf den Ohren im Wohnzimmer. Meinen Mann lasse ich schlafen, ich will alleine sein und mich konzentrieren. Ich bin ganz im Moment, nehme Welle für Welle, atme und bewege mich stundenlang durchs dunkle Zimmer. Währenddessen lasse ich nicht zu, dass ich die Wellen als „Schmerzen“ wahrnehme. Wie Kristin im Podcast vorschlägt, belege ich sie mit Begriffen wie „Druck, Dehnung, intensives Körpergefühl“.
Es geht los – jetzt aber wirklich!
Am Nachmittag des nächsten Tages, Sonntag der 7. Februar, werden die Wellen so intensiv, dass wir beschließen, ein zweites Mal ins Krankenhaus zu fahren. Ich will unbedingt so lange wie möglich warten, um nicht wieder weggeschickt zu werden. Dieses Mal schaffe ich es nicht mehr, vorher zu duschen, aber eine Katzenwäsche ist noch drin. Im Auto halte ich mich bei jeder Welle am Haltegriff fest und freue mich, weil ich ahne, dass es jetzt wirklich losgeht. Um 18 Uhr kommen wir an. Vom Parkplatz aus schleiche ich in Richtung Haupteingang und muss bei jeder Welle stehenbleiben, um sie zu veratmen. Dabei falle ich beinahe in ein Gebüsch, weil ich mich bäuchlings gegen einen Strauch lehne, der nachgiebiger ist, als er aussieht. Die Security schiebt mich im Rollstuhl zum Kreißsaal, ich habe die Augen geschlossen und die Hypnose im Ohr, ich merke nicht einmal, dass mein Mann nicht bei mir ist. Bei der Untersuchung stellt sich heraus: Der Muttermund ist 3 cm geöffnet, ich darf bleiben. Juchhu! Mein Mann ist wenige Minuten später bei mir, in der Zwischenzeit habe ich von M., der netten Hebamme, die ich beim ersten Mal bereits kennengelernt hatte, ohne es zu merken, einen Zugang gelegt bekommen. Kurz und schmerzlos und damit ganz anders als in meiner Kindheit (weshalb ich im Vorhinein auch Angst davor hatte). Ich werde ans CTG angeschlossen, es ist nicht kabellos, aber ich habe sowieso kein Bedürfnis, mich zu bewegen und liege die ganze Zeit auf der Seite. So verbringe ich die nächsten Stunden. Mein Mann reicht mir Getränke und Snacks (zum Glück haben wir richtig viel zum Essen eingepackt; ich habe in den Wellenpausen immer wieder Magenknurren und muss essen!) Die Hebammen sehen, dass ich Kopfhörer trage und halten sich auf angenehme Weise im Hintergrund. Ab und an kommt M. und fragt, ob sie mich untersuchen darf. Danach setzt mein Mann den Duftanker und ich tauche wieder ab. Ich komme gut mit den Wellen zurecht. Die Bauchatmung und Kristins Stimme („Du machst das super!“) sind unglaublich hilfreich und die Geburt schreitet gut voran, pro Stunde weitet sich der Muttermund um ca. 2 cm.
Ein Schlüsselmoment
Und dann kommt es zu einer Situation, die ich im Nachhinein als entscheidend für den weiteren Verlauf der Geburt betrachte: Eine Ärztin poltert in den Kreißsaal und reißt mich aus meiner Konzentration. Sie ist laut und unsensibel. Sie spricht mich wiederholt an, obwohl sie sieht, dass ich Kopfhörer trage und ihr signalisiere, dass ich gerade meine Ruhe brauche. Ich merke schnell, wie sehr sie mich stresst, denn die Wellen erscheinen mir in diesem Moment nur schwer aushaltbar. Mein Mann springt mir bei und bittet sie, das Gespräch nach draußen zu verlagern, aber sie ist ungehalten und möchte mit mir sprechen. Mein Mann bleibt hartnäckig. Missmutig begleitet sie ihn vor die Tür. Sobald sie weg ist und Ruhe einkehrt, geht es mir besser. Irgendwann kommt mein Mann zurück. In einer Wellenpause sagt er mir, dass die Ärztin mir eine PDA empfehlen würde, denn aufgrund meiner Opioid-Unverträglichkeit sei das die einzige adäquate Form der Schmerzlinderung. Außerdem sei der Anästhesist gerade verfügbar. Und sie würde mich ja auch nicht ohne Betäubung nähen wollen („Erstgebärende reißen ja meistens!“). Ich bin verwirrt. Warum empfiehlt sie mir eine PDA, wo ich mit den Wellen bisher doch super zurechtgekommen bin? Weiß sie etwas, das ich nicht weiß? Einen Moment lang komme ich ins Schwimmen. Dann ist plötzlich M. an meiner Seite. Ich sage zu ihr: „Ich habe nicht das Gefühl, dass ich eine PDA brauche.“ Und sie sagt: „Ja, ich glaube auch, dass Sie das so schaffen. Außerdem verlangsamt eine PDA oft den Geburtsverlauf.” Ich treffe eine Entscheidung: gegen eine PDA und dafür, mir und meinem Gefühl zu vertrauen. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich noch nicht, wie wichtig diese Entscheidung ist, weil sie meine Geburt zu einem selbstbestimmten, positiven Erlebnis macht. Ich lasse der Ärztin ausrichten, dass ich auf eine PDA verzichte und dass sie mich gegebenenfalls mit Lidocain nähen soll. Mein Mann muss einen Haftungsausschluss unterzeichnen. Die Geburt geht weiter gut voran.
Der lange Weg …
Als der Muttermund komplett eröffnet ist, mache ich die Hypnose aus. Ich liege auf der Seite und auf dem Rücken und bin dankbar für die Anleitung der Hebammen. Die ganze Zeit über ist immer mindestens eine Hebamme in meiner Nähe. Das ist auch gut, denn die Austrittsphase ist wirklich herausfordernd – nicht im Sinne von schmerzüberwältigend, sondern im Sinne von kräftezehrend. Letztlich dauert sie vier Stunden. Irgendwann bringt mir jemand Lachgas, aber nach ein paar Atemzügen merke ich, dass das nicht meins ist. Ich will einen klaren Kopf behalten. Nach ungefähr drei Stunden werden die Wellen schwächer und ich werde an den Oxytozin-Tropf angeschlossen. Für mich eine sehr gute Unterstützung beim Endspurt.
… bis zum Finale
Um 3.16 Uhr gebäre ich meinen Sohn mit der Hilfe von zwei Ärztinnen und einer Hebamme. Eine Ärztin kristellert, die zweite schneidet und die Hebamme leitet den Kopf. Vor diesen Interventionen hatte ich im Vorfeld Angst, aber in der Situation sind sie für mich überhaupt nicht schlimm, im Gegenteil. Die Ärztin, die kristellert, ist sehr vorsichtig. Es tut überhaupt nicht weh. Sie sorgt dafür, dass mein Kind nach den Wellen nicht wieder zurückrutscht. Und ja, natürlich wäre es schöner gewesen, ohne Dammschnitt auszukommen, aber ich glaube, er war nötig, weil ich nach vier Stunden langsam am Ende meiner Kräfte war.
Dann endlich liegt dieses winzige, wunderschöne Wesen nackt auf mir und riecht betörend gut nach Kräuterdampfbad. Ich bin so erschöpft wie noch nie zuvor in meinem Leben – und so stolz und dankbar wie nie zuvor. Dankbar, es geschafft zu haben, dankbar dafür, dass uns so lange Zeit gegeben wurde. Stolz auf mich, weil ich mir vertraut habe. Stolz auf meinen Sohn, weil er seine Geburt so gut gemeistert hat. Sein CTG war wohl die ganze Zeit prima und ich glaube, dass die tiefe Bauchatmung dazu beigetragen hat.
Es war keine interventionsfreie, aber eine selbstbestimmte, tolle Geburt mit einem sehr engagierten Hebammenteam, das an mich und an meine Fähigkeit zu gebären, geglaubt hat. Die Atmung und die Hypnose haben mich unfassbar gut durch den Prozess getragen – ich bin sicher, dass ich ohne diese gute Vorbereitung (Online-Kurs ab der 27. SSW) eine andere Geburt erlebt hätte. Die Geburt war nicht schmerzfrei, aber machbar und gut zu bewältigen. Sie hat mein Verhältnis zu „Schmerz“ im Allgemeinen positiv verändert. Und für mich das Wichtigste: Ich hatte keine Angst. Zu keinem Zeitpunkt. Herzlichen Dank, Kristin!