Geburtsbericht von

M.

An ET+ 4 hatte ich wieder einen Kontrolltermin bei der Frauenärztin. Meine Nerven sind sehr angespannt. Bisher waren nie Wehen erkennbar und auch sonst keine Anzeichen auf einen baldigen Geburtsbeginn. Ich will unbedingt, dass es losgeht und unser zweites Baby endlich kommt.
Und tatsächlich hatte die Frauenärztin diesmal gute Nachrichten für mich: Zwei kleine Wehen sind erkennbar und der Muttermund ist fingerdurchlässig. Als ich die Praxis verlasse, bin ich gut gelaunt und habe ein sehr gutes Gefühl, dass Baby R. sich heute auf den Weg machen wird.

Gegen Mittag habe ich das Gefühl, dass sich irgendwas tut im Bauch, aber kann es noch nicht als Wehen bezeichnen. An diesem Tag ist geplant, das mein Mann mit unserem Sohn und Oma Opa auf einen Spielplatz in der Nähe geht. Ich freue mich darauf, sobald mein Mann aus dem Haus ist, in die Badewanne zu gehen und endlich richtig relaxen zu können. Dies mache ich dann auch, sobald er weg ist.

Zu Baden ist wunderbar und ich habe tatsächlich das Gefühl, ganz leichte Wehen zu haben. Ich beginne, meine Geburtshypnosen von der „friedlichen Geburt“ und positive Geburtsaffirmationen aus einem anderen Kurs zu hören.

Im Laufe des Nachmittags werde ich insgesamt 3-mal in die Badewanne gehen. Was ich dazwischen getan habe, weiß ich leider nicht mehr.

Gegen 16Uhr gibt es ein Gewitter und ich schreibe meinem Mann, weil ich mir Sorgen mache. Er schickt mir ein Bild von meinem Sohn und ich kann wieder entspannen.

16:15Uhr
Ich bitte meinen Mann, nach Hause zu kommen, da ich nun sicher bin, Wehen zu haben und nichts riskieren will. Man weiß ja nicht, wie schnell es gehen kann. Die Wehen sind in der Badewanne noch harmlos und absolut erträglich, aber es sind welche! Juhu. Ich freue mich, dass die Geburt so langsam startet und wir wohl noch genug Zeit haben werden, unseren Sohn weg zu organisieren.

Mann und Kind sind zu Hause.
Noch bin ich entspannt und veratme meine Wehen. Sicherheitshalber rufe ich meine Mutter an und warne sie schonmal vor. Mein Mann bezieht, wie im Vorfeld besprochen, nochmal das Bett neu und richtet alles her, falls mein Wunsch nach einer ambulanten Geburt klappen sollte und wir direkt nach der Geburt nach Hause kommen.

Ca. 18Uhr
Meine Wehen sind zwar immer noch aushaltbar und erträglich, aber nun regelmäßig und ich muss mich schon darauf konzentrieren, weshalb ich beschließe, nicht länger zu warten und unseren Sohn abholen zu lassen, damit ich mich voll und ganz auf die Wehen konzentrieren kann. Eine halbe Stunde beim Verabschieden bin ich plötzlich tieftraurig, denn es fühlt sich wie ein Abschied an von unserer bisherigen exklusiven Mama-Sohn Zeit an und das ist es ja auch. Wenn wir uns wiedersehen, werden wir zu viert sein. Als alle weggefahren sind, bin ich aber auch tief erleichtert, dass nun alles geregelt ist und ich mich nun vollkommen auf die Geburt einlassen kann.
Im Wohnzimmer versuche ich nun, meine mittlerweile etwas schmerzhafteren Wehen zu veratmen und weiter meine Hypnose/Affirmationen zu hören. Mein Mann bereitet derweil weiter das Haus vor und macht uns noch etwas zu essen. Die Wehen sind regelmäßig ca. 45 Sekunden lang und kommen alle 3 bis 4 Minuten, sind aber noch aushaltbar.

Gegen 19:45 kommen die Wehen teilweise schon alle 2 Minuten, dann aber auch wieder erst nach 4 Minuten. Ich werde schon etwas angespannter, habe aber noch das Gefühl, gut zurecht zu kommen.

Ca. 20:15Uhr
Die Wehen sind nun schon so schmerzhaft, dass ich mich stark konzentrieren muss und einen Gegendruck aufs Steißbein brauche, um sie zu ertragen. Ich beschließe intuitiv, dass ich nun nicht länger abwarten möchte und ins Krankenhaus fahren will. Auf der kurzen Fahrt ins Krankenhaus habe ich 3 starke schmerzhafte Wehen und bin froh, als wir angekommen sind.

20:40Uhr
Angekommen im Kreißsaal, empfängt uns eine unmotiviert blickende Hebamme und führt uns zunächst in ein Vorbereitungszimmer. Ich gehe nochmal auf Toilette und erschrecke, weil ich eine leichte Blutung vorfinde. Kurz werde ich an die Geburt vom großen Bruder erinnert, wo ich auch Blutungen hatte und damit eine Wassergeburt ausgeschlossen wurde. Ich schaffe es aber schnell, diese negativen Gedanken wieder zu verbannen und mich auf die mittlerweile wirklich schmerzhaften Wehen zu konzentrieren.
Ein CTG wird angeschlossen und ich liege mit starken Wehen auf der Liege. Die Hebamme verabschiedet sich und verlässt den Raum. Nach dem Muttermund tastet unerwarteterweise niemand.
Naja, auch egal, denke ich mir. Die Wehen kommen mittlerweile so kurz nacheinander und so intensiv, dass ich kaum Zeit habe nachzudenken und konzentriere mich lieber auf die Hypnose im Ohr und das Veratmen.
Nach ca. 10 Minuten halte ich den Schmerz im Liegen nicht mehr aus und MUSS aufstehen. Vor der Liege stehend versuche ich weiter, die Wehen zu veratmen und starre hin und wieder auf das CTG-Blatt. Die Wehen kommen regelmäßig und sehr stark! Ich wundere mich wirklich, dass keiner kommt, den Muttermundstand zu tasten, denn ich bin mir sehr sicher, dass er bereits ein Stück geöffnet sein muss. Ich kann es bei den Wehen richtig spüren, wie er sich öffnet.

Nach einer Weile empfinde ich die Wehen als nahezu unerträglich und muss den Schmerz rausschreien. Irgendwann ertrage ich auch die Hypnose nicht mehr auf den Ohren und schmeiße die Kopfhörer meinem Mann entgegen. Die müssen sofort weg! Immer wieder halte ich mich nun auch an den Schultern meines Mannes fest, da ich nicht mehr stehen kann, wenn der Schmerz kommt. Hinlegen wäre absolut keine Option mehr.

Nach ca. 1 Stunde halte ich die Schmerzen nicht mehr aus und will unbedingt, dass mal jemand nach dem Muttermund tastet, damit ich weiß, woran ich bin und auf was ich mich einstellen muss. Die Wehen kommen mittlerweile ohne merkliche Pausen und sind extrem stark. Kein Wunder, dass ich unglaubliche Schmerzen habe. Würde das auch nur eine Minute länger so weitergehen, brauche ich definitiv irgendein Schmerzmittel, auch wenn das nicht mein Plan war. Aber das ist mir jetzt komplett egal. In einer Wehen-“Pause“ rufe ich meinem Mann nur schnell zu, er soll jetzt SOFORT eine Hebamme herrufen.

21:40Uhr
Kurz darauf betreten 2 Hebammen den Raum und eine untersucht mich. Ich bin fix und fertig und erwarte schon das Schlimmste, da sagt die Hebamme in einer absolut stoischen Ruhe: „Der Muttermund ist vollständig geöffnet, da können wir ja jetzt in den Kreißsaal gehen!“
Ich kann es kaum glauben, aber diese Information gibt mir nochmal einen Energieschub, denn nun weiß ich, dass ich bereits einen ganz großen Teil geschafft habe und es endlich weitergehen kann! Im selben Moment meine ich auch schon, die erste Presswehe anrollen zu spüren, konzentriere mich aber darauf, die 5 Meter in den Kreißsaal rüber zulaufen. Dort angekommen legen mir die Hebammen noch schnell eine Gymnastikmatte auf den Boden, was ich super finde, und ich lasse mich direkt darauf fallen und lehne kniend am Kreißsaalbett. Ich bin dankbar, dass niemand auch nur vorschlägt, dass ich mich aufs Kreißbett legen könnte. Unvorstellbar für mich.
Nun kommen die Presswehen, ich kann es deutlich als einen starken Druck nach hinten/unten fühlen und es ist ein ganz anderes Gefühl als die Wehen zuvor, die einfach nur schmerzhaft waren.

21:52Uhr
Mit der ersten Presswehe im Kreißsaal platzt die Fruchtblase. Ein riesiger Schwall läuft aus mir heraus und ich erschrecke kurz, denn bis dahin hatte ich an die Fruchtblase überhaupt nicht mehr gedacht. Eine Ärztin bittet mich höflich, einen Zugang legen zu lassen, um für eine evtl. notwendige Oxytocin-Gabe bei der Plazentageburt vorbereitet zu sein. Ich stimme zu, mittlerweile ist mir das alles komplett egal. Ich finde es aber großartig, wie sehr mein Wunsch nach einer möglichst interventionsfreien, selbstbestimmten Geburt respektiert und berücksichtigt wird.

Die Wehen kommen so intensiv, dass ich einfach weiter mache. Jetzt habe ich das Gefühl, mitschieben zu können, was mich ungemein motiviert, obwohl ich eigentlich schon wahnsinnig erschöpft von den Schmerzen zuvor bin. Die Hebammen lassen mich einfach machen, ohne etwas dazu zu sagen.

Dann gibt es einen Schichtwechsel und es stellt sich Hebamme Lisa vor. Ich empfinde sie als unglaublich ruhig und nett und bin sehr froh, nun eine so nette Hebamme für die Endphase der Geburt bekommen zu haben. Die Frage, ob ich eigentlich schon aktiv mitpressen dürfe, bejaht sie. Trotzdem geht es nicht vorwärts und ich warte die ganze Zeit sehnlichst darauf, dass Lisa mir sagt, dass das Kind schon zu sehen sei.
Die Schmerzen sind sehr intensiv und ich schwitze stark vor Anstrengung. Lisa gibt mir den Tipp, mich auf den Schoß meines Mannes abzustützen, der vor mir auf einem Stuhl sitzt während ich auf der Matte knie. In dieser Position, im Vierfüßler Stand, bleibe ich bis zum Schluss. Es fühlt sich für mich einfach genau richtig an, so zu gebären.
Hebamme Lisa versucht, mich einfühlsam mit netten Worten zu motivieren, was ich toll finde. Zwischendrin tastet sie immer wieder mal nach dem Köpfchen und presst mir einen warmen Waschlappen auf den Damm, was sehr angenehm ist. Irgendwann habe ich das Gefühl, selbst einmal tasten zu wollen, weil ich Motivation brauche, dass das Kind wirklich durchkommt. Ich spüre nämlich tatsächlich, wie sich der Kopf bei jeder Wehe vor und zurück schiebt. Als ich mit einer Hand taste, kann ich tatsächlich etwas Weiches spüren. Ein großartiges Gefühl! Trotzdem macht es mich nervös, dass die Pressphase so lange dauert, denn ich habe Angst, dass wieder eingegriffen werden muss wie bei der traumatischen Geburt meines ersten Sohnes.
Ich versuche, diese Angst zu verdrängen und mich weiter auf die Wehen zu konzentrieren und den Schmerz zu ertragen. Wenn ich nur wüsste, wie lange das noch so geht. Gleichzeitig finde ich es toll, wie ich aktiv mein Kind hinaus pressen kann. Ein Gefühl, was ich aufgrund der PDA bei der ersten Geburt bisher nicht kannte und als wahnsinnig kraftvoll empfinde.

Irgendwann sagt Lisa die erlösende Worte, dass sie nun die Ärztin dazu ruft, weil nun der Kopf kommt und ich auf ihr Zeichen hin anders atmen soll. Doch als es sehr bald danach so weit ist, bin ich so in Ekstase, dass ich es nicht wirklich schaffe, auf sie zu hören und wie eine Löwin presse. Mein alter Dammriss von der ersten Geburt ist mir plötzlich komplett egal. Ich fühle ein unglaublich starkes Brennen und weiß, jetzt ist das Schlimmste gleich geschafft! Der Kopf ist da. Juhu.

22:52Uhr
Mit der nächsten Wehe stützt Lisa den Kopf und ich spüre die Schultern meines Kindes aus mir herausgleiten. Mit einem Schwall Fruchtwasser und lautem Geschrei schießt er heraus. Eine große Erleichterung durchflutet mich.
Ich blicke unter mich und sehe mein Baby auf der Matte zwischen meinen Beinen liegen. Sofort überkommt mich der Drang, ihn aufzuheben und greife nach ihm. Die Hebammen lassen es mich machen und so kann ich mein Kind mit den eigenen Händen aufheben und an meine Brust ziehen. Ein unglaubliches Gefühl.

Für die Nachgeburt und geplante Nabelschnurblutentnahme bittet mich die Ärztin, mich aufs Bett zu legen. Ich bin einverstanden. Auf dem Bett angekommen dürfen wir kuscheln und ich versuche, R. direkt an die Brust anzulegen, um die Plazentageburt anzuregen. Es scheint zu funktionieren, denn nur ein paar Minuten später spüre ich auch schon Wehen anrollen und kann die Plazenta problemlos herausdrücken. Erneut bin ich sehr erleichtert. R. mag zwar noch nicht richtig trinken, aber schaut aufgeweckt und interessiert auf meiner Brust umher. Ich bin erschöpft, aber überglücklich. Ich kann es gar nicht fassen, wie schnell, natürlich und wie selbstverständlich diese Geburt abgelaufen ist.

Später stellt die Ärztin einen Dammriss und eine Labien Abschürfung fest. Ich bin ein wenig genervt, da ich von der ersten Geburt weiß, was nun auf mich zukommt. Die Ärztin vernäht mich aber schnell und fast schmerzlos.

Wir werden im Kreißsaal allein gelassen und können etwas kuscheln und in Ruhe kennenlernen. Da ich mich gut fühle und R. auch fit zu sein scheint, spricht nichts gegen eine ambulante Geburt und wir dürfen in ein anderes Zimmer umziehen, wo wir noch ein paar Stunden ausruhen, bevor es nach Hause geht. R. wird nochmals von einer Kinderärztin untersucht und ich gehe unter Aufsicht erfolgreich auf Toilette. Ich kann es kaum glauben, wie fit ich bin und wie schnell und unkompliziert diese Geburt tatsächlich gelaufen ist.
Ich fühle mich erschöpft, aber auf eine wunderbar angenehme Art und Weise und bin einfach nur glücklich und beeindruckt, wie alles gelaufen ist.

6 Stunden, nachdem R. das Licht der Welt erblickt hat, verlassen wir das Krankenhaus und fahren nach Hause. Daheim erwartet mich mein eigenes frisch gemachtes Bett, in dem wir die ersten 2 Tage zu dritt verbringen. Der große Bruder bleibt so lange bei Oma und Opa. Ich genieße die Zeit sehr und bin zutiefst dankbar für diese wundervolle Geburtserfahrung nach meiner traumatischen ersten Geburt.

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