Geburtsbericht von

Melanie

Drei Tage vor deinem Geburtstag fing es an, zu schneien. Schon lange hatten wir so früh im Dezember keinen Schnee mehr. Als ich aus dem Fenster sah, stellte ich mir vor, wie schön es wäre, dich in diese zauberhafte Schneelandschaft zu gebären. „Ob er wohl noch bis zu deinem Geburtstag bleiben wird?“ – Ich wünsch‘ es mir.

Es war der 11. Dezember und das Weihnachtsfest mit meiner Familie stand an. Wir hatten es extra vorverschoben, da dein ET am 27.12.22 war und wir damit rechneten, dieses Jahr keine “normalen” Weihnachtstage zu feiern.
Bei dem Kontrolltermin bei unserer Hebamme einen Tag zuvor konnten wir einen Blasensprung, welchen ich befürchtet hatte, ausschließen. Deshalb waren dein Daddy und ich entspannt und konnten uns auf den Brunch mit der Familie freuen. Ich genoss es in vollen Zügen und schlug mir den Bauch voll.
Kaum war meine Familie wieder auf dem Nachhauseweg, machte sich dein Daddy daran, die Wohnung wieder tiptopp in Ordnung zu bringen. Alles sollte wieder so hergerichtet sein, wie ich es wollte. Das war mir besonders wichtig, denn da eine Hausgeburt geplant war, sollte es einfach schön sein. Am liebsten die ganze Zeit. Schließlich weiß man ja nicht, wann es losgehen würde. 🙂

Zwischenzeitlich packte ich deinen großen Bruder, zog ihm seine Jacke an, ging mit ihm vor das Haus und zeigte ihm, wie man Schnee schaufelt. Wir verbrachten sicher eine Stunde damit, den Rasen vom Schnee zu befreien. Ich genoss diesen Moment mit ihm, dem schon bald großen Bruder, trotz der Anstrengung sehr!
Ein gemütlicher Spätnachmittag verging und dein Daddy entschied sich spontan, heute Abend noch mit unseren Freunden essen zu gehen.
Trotz Überredungsversuchen blieb ich aber bestimmt, heute zu Hause zu bleiben. Ich hatte einfach keine Energie mehr und war so erschöpft vom heutigen Tag. Ich wollte mich eigentlich nur noch früh ins Bett legen.

Mein Plan ging aber nicht auf, da dein Bruder große Mühe hatte, einzuschlafen und mein Nervenkostüm heute besonders dünn war. Ich wollte doch einfach nur Zeit für mich haben. Mich zurückziehen, entspannen und schlafen. Um halb 9 verließ ich das Zimmer, ohne ihn in den Schlaf zu begleiten.
Das war eher ungewohnt für mich, aber er schien heute wohl besser ohne mich einzuschlafen.

Meine Gedanken fingen an, zu kreisen und erdrückten mich fast. Diese Schwangerschaft ist bald zu Ende, das stimmte mich unheimlich traurig. So richtig loslassen wollte ich noch nicht. Die Zeit ging mir viel zu schnell vorbei. Zu wenig konnte ich diese Schwangerschaft bewusst genießen. Auch hatte ich Angst. Angst vor dem Leben mit 2 Kindern. Dieser Umstellung und Angst, deinem grossen Bruder nicht gerecht zu werden.
Aber ich merke wie diese Schwangerschaft langsam zu Ende geht, wie die Weichen schon Richtung Geburt stehen.
Also schrieb ich alle meine Gedanken und Sorgen nieder, machte die Hypnose “Abschied von der Schwangerchaft” und machte noch Fotos von meinem wunderschönen kugelrunden Babybauch.
Danach kümmerte ich mich noch um die Babykleider, die eingeräumt werden mussten.
Als ich sowieso schon gerade dabei war, habe ich noch gleich das Kinderzimmer aufgeräumt.
Das Gefühl der Rastlosigkeit und dieser unbeschreiblichen, seltsamen Gereiztheit begleitete mich dabei.

Ich merke, wie meine Gebärmutter arbeitet und sich immer wieder zusammenzieht. Ich kenne das schon von den letzten Wochen.
Denn auch bei dieser Schwangerschaft musste ich wieder wegen vorzeitigen Wehen liegen und nahm Bryophyllum, um mir und dem Baby noch ein wenig Zeit zu geben.
Ich entschied mich auch jetzt (obwohl wir ja schon termingerecht waren), noch 2 Wehenhemmer zu nehmen, da ich mich jetzt gern noch ein wenig schlafen gelegt hätte.
Ich legte mich ins Bett und informierte deinen Daddy darüber, wer morgen als Geburtshütedienst für deinen großen Bruder zuständig wäre.

Um 22:30 Uhr kam dann dein Daddy nach Hause und ich entschied mich, nach unten zu ihm zu gehen.
Schlafen konnte ich trotz Bryophyllum und einem Dafalgan einfach nicht.
,,Vielleicht gehts jetzt los” sagte ich zu ihm.
,,Meinst du wirklich?”
,,Ich weiss nicht” antwortete ich ihm verunsichert.
Ich entschied mich, ein Bad einzulassen. Werden die Wellen dann nicht aufhören, würden es wohl wirklich Geburtswellen sein.
Als ich in der Wanne saß, dachte ich darüber nach, dass mir immer alle gesagt haben: „Bei der
2. Geburt merkst du wenigstens, wann es losgeht, weil man es schon kennt.“
– Nichts da! Dieses Mal ist einfach alles anders…
Ich hatte weder den Appetitsverlust, noch das Erbrechen oder die Zeichnungsblutung einige Stunden zuvor. Auch mein Darm hat sich noch nicht auf diese Weise entleert, wie ich das von der Geburt deines Bruders kannte.
Aber als ich aus der Badewanne herauskam, wusste ich trotzdem: unsere Geburtsreise wird jetzt beginnen.

Der Beginn deiner Geburt war so anders. So ruhig, sanft und gemächlich …
Ich setzte mich zu deinem Daddy auf die Couch – es war kurz vor Mitternacht. Die Wellen waren sehr sanft. Gemeinsam entschieden wir nun, allen Bescheid zu sagen, dass es losgehen würde. Schließlich kam dein Bruder im Eiltempo zur Welt. Während dein Daddy unsere Hebamme, Doula und die Geburtsfotografin anrief, setzte ich mir die Kopfhörer auf und entspannte zu meiner Geburtshypnose von „Die friedliche Geburt“.

„Ich creme dir noch das letzte Mal deinen Bauch ein,“ meinte dein Daddy.
Danach legte er seine Hand auf meinen Bauch und schaute, in welchen Abständen die Wellen kamen. Alle 3-4 Minuten, regelmäßig, aber kaum zu spüren.
Die nächste Stunde verbrachten wir damit, den Geburtspool aufzubauen, Wasser einzulassen, Kerzen anzuzünden, Meditationen zu hören, zu dösen und immer wieder zu kuscheln. Die Stimmung und die Zweisamkeit waren wunderschön. Diese Vorfreude und Liebe, die in der Luft lag, war einfach zauberhaft.

In dieser Zeit hatte ich auch die Zeichnungsblutung und mein Darm entleerte sich.
Wir entschieden uns also, unser Geburtsteam mal auf 03.00 Uhr zu uns zu bestellen. Die Wellen waren immer noch sehr sanft und ich war ein wenig unsicher, ob es nicht doch noch zu früh wäre.
Ich fragte mich, ob sich diese Geburtsreise wohl noch Stunden oder vielleicht sogar Tage hinziehen würde, diese Sanftheit und diese wohlige Entspannung ließen mich in großen Zweifeln stehen.

Um ca. 3:30 Uhr in der Früh sind alle bei uns eingetroffen. Ich muss gestehen, unser Wohnzimmer kam mir in diesem Moment winzig klein vor.
Mein Mann, meine Hebamme, die Zweithebamme, unsere Doula und die Geburtsfotografin waren alle da, wie geplant und auf meinen Wunsch. Nur meine Wellen haben sich verabschiedet. Als wären sie hinaus gehuscht, als die anderen hereinkamen.

Naja abwarten, dachte ich mir. Bei den winzig kleinsten Anzeichen einer kommenden Welle verzog ich mich in Richtung Flur. Es war mir einfach zu viel los und ich fühlte mich gerade nicht besonders wohl. Ansonsten war aber die Stimmung sehr ausgelassen. Wir haben geredet, gewitzelt und gelacht.
War das ein Geburtsstillstand? Oder hat die Geburt doch noch nicht wirklich begonnen? Sind nun alle vergebens gekommen? Ich war verwirrt.

«Wollen wir mal nachsehen, wo du stehst?», fragte mich meine Hebamme. Ich war sehr froh, dass sie mich das fragte, obwohl ich bei meiner ersten Geburt sowie auch jetzt auf Untersuchungen verzichten wollte – das wusste sie.
«Ich fühle mich schlecht, habe Sorge, dass ich euch alle für nichts aus dem Bett geholt habe,» erwiderte ich ihr.
«Auch wenn, das gehört zu unserem Beruf(srisiko), wir sind alle aus freien Stücken hier. Wenn es noch nicht losgehen sollte, dann kommen wir einfach das nächste Mal wieder.»
Wie recht sie doch hatte! Wieso mache ich mir immer so einen Kopf! Egal, darüber kann ich mir ein anderes Mal Gedanken machen.

Also gesagt, getan. Wir schauen nun, wo ich stehe.
«Ich wills nicht wissen!» schoss es aus mir heraus. Ich wollte mich nicht von irgendwelchen Befunden beeinflussen lassen. Wollte die Geburt ganz für mich erleben und spüren.
Meine Hebamme lächelt mich ruhig und sanft an und sagt:
«Melanie, wir bleiben alle hier, heute geht niemand mehr nach Hause.»

Also doch Geburt, dachte ich mir lächelnd und war sichtlich erleichtert und froh. Ich sah deinen Daddy an und fragte: «Begleitest du mich auf einen Spaziergang?» Er nickte und half mir in eine Hose und in meine Gummistiefel. In einem wirklich witzigen Outfit ging’s dann eine Runde um das Haus. Es war eisig kalt draußen und ich wusste tief im Herzen – jetzt müsste ich loslassen. Die Schwangerschaft gehen lassen, um dir das Leben zu schenken. Mir wurde erst jetzt so richtig bewusst, dass das jetzt gerade unsere Geburtsgeschichte ist. Bald werden wir dich in den Armen halten, uns noch einmal in solch ein wunderbares, perfektes Kind verlieben. Ich war voller Vorfreude und fest entschlossen, mich nun dem Prozess völlig hinzugeben. Es war kurz vor 5 Uhr, als wir wieder zu Hause waren.

Die Wellen waren immer noch sehr sanft. Meine Hebamme und dein Daddy machten mir einen Wehentee. Lecker duftete er nach Weihnachtsgewürzen. Währenddessen massierte mir meine Doula den Bauch mit Nelkenöl ein, oh wie ich diesen Duft in diesem Moment geliebt habe! Ich legte mich noch eine Weile mit den Kopfhörern und den Meditationen im Ohr auf die Couch. Schnell merkte ich aber, dass ich mich bewegen musste.

Ich war völlig bei mir. Die Wellen kamen und sie gingen. Die Geburtsatmung, welche ich vorab geübt hatte und während der Schwangerschaft als sehr wohltuend empfand, war unter den Wellen eine Katastrophe! Aber das machte nichts, ich ließ mich einfach darauf ein und atmete so wie es sich für mich gerade richtig angefühlt hat. Die Wellen werden nun stärker und ich fühle mich gut und voll im Flow.

Ja jetzt… jetzt werden die Empfindungen langsam anders, bemerkte ich, während ich mich noch ein Stück mehr auf die Atmung konzentrieren musste.
«Willst du in den Pool?», fragt mich meine Hebamme. Ich nicke. Dein Daddy hilft mir, mich auszuziehen und in den Geburtspool zu steigen. Jetzt bin ich froh, seine Hände halten zu können und meine Stirn auf seine zu pressen, während den Wellen. In den Pausen hilft mir das warme Wasser, mich völlig zu entspannen. Die Wellen musste ich zwischenzeitlich mit wohltönenden “A” und “O” begleiten. Das Tönen hilft mir ab jetzt, mit den Wellen umzugehen.

Ich habe gar nicht mitbekommen, dass dein Daddy gleichzeitig noch deine Großmutter anrief, die inzwischen kommen soll, um deinen großen Bruder, der noch friedlich in seinem Zimmer schlief, zu empfangen, sobald er aufwacht. Wir hatten großes Glück, dass sie Zeit hatte, denn unser eigentlicher Pikett-Hütedienst war die ganze Nacht über nicht erreichbar.
Um 06.45 Uhr war deine Großmutter dann da und ging nach einem kurzen «Hallo» direkt nach oben.

Ich denke, ich muss nun langsam mit schieben – dieser Druck ist einfach riesig.
Meine Hebamme sieht nach und sagt: «8 cm und alles weich, Fruchtblase noch intakt und prall.»
Mein Mut und meine Motivation verlassen mich schlagartig. Was, nur 8 cm?! Verzweiflung steigt in mir hoch, ich kann nicht warten und diesem Drang mit zuschieben, nicht widerstehen.
Ich muss JETZT dieses Baby gebären!

Ich dachte, es würde mir alles zerreißen, da der Muttermund noch nicht komplett eröffnet ist.
Das erste Mal bei dieser Geburt verspürte ich Schmerzen – mein Mund zitterte. Ich war überhaupt nicht mehr bei mir oder gar bei dir. Die Fruchtblase platzt, na endlich! Ich war schon kurz davor darum zu bitten, sie zu öffnen. Endlich bringe ich nach einer gefühlten Ewigkeit ein Wort heraus: «Ich kann nicht warten!»

«Alles okay, du machst das super! Es ist alles weich, du kannst langsam mit schieben,» meinte meine Hebamme und legte ihre Hand auf meinen Damm und machte einen Dammschutz. Gleichzeitig sagte sie mir noch, ich solle in Richtung ihrer Hand atmen.
Die ersten Anweisungen an unserer Geburt und sie kamen sowas von zur richtigen Zeit! Ich war gerade sehr froh, Orientierung zu bekommen, es half mir, wieder in ein gutes Gefühl zu gelangen. Da kommt er, der Kopf, dieses leichte, schnelle Brennen.

«Du kannst dein Baby jetzt auffangen.»
Das war schon mein Wunsch bei der Geburt deines großen Bruders. Doch wie auch schon da, antwortete ich: «Ich habe keine Kraft.» Ich musste mich voll und ganz darauf konzentrieren, dich zu gebären, so glittest du zuerst in die wundervollen Hände unserer Hebamme. Zwischen meinen Beinen gab sie dich zu uns nach vorne. Da warst du am 12.12.22 um 07.12 Uhr in meinen Händen und ich konnte dich nach oben heben, aus dem Wasser zu uns. Direkt in unsere Herzen.

Ich spüre dich auf meiner Brust. Ich bin so erschöpft und überglücklich. Wir stimulieren dich ein wenig, pusten dir leicht ins Gesicht. Reiben deinen Rücken. Das reicht aber nicht ganz, die Hebamme nimmt dich schnell ein wenig nach oben. Dann endlich dein erster Schrei!
Gleichzeitig konnten dein Daddy und ich einen Blick zwischen deine Beine erhaschen. Unser Baby, unser Junge, du bist da! Geboren in diese wunderschöne Schneelandschaft.

Mir wird aus dem Pool geholfen und wir legen uns zu dritt auf die Couch. Dein Daddy legt seine Hand auf deinen Rücken und du versuchst dich an deinem ersten Trinkversuch an der Brust. Dann kommt auch schon dein großer Bruder die Treppe hinunter, deine Großmutter setzt sich mit ihm neben uns und so gibt es bereits auch bei euch ein kurzes Kennenlernen. Irgendwann zwischen Stillen und kuscheln kümmern wir uns noch um die Plazenta, bevor gefrühstückt werden kann. Wie gut! Da haben wir noch so viel übrig von unserem Brunch einen Tag zuvor.

Nach dem Frühstücken untersucht mich meine Hebamme noch auf Geburtsverletzungen. Wie schön, ist auch dieses Mal alles heile geblieben. Dein Daddy und die Hebamme machen nun deine Erstuntersuchung und durchtrennen die Nabelschnur. Danach schliefen wir zwei ein. Müde und überwältigt von dieser schönen Geburtsreise und von tiefstem Herzen dankbar für den Raum, der für uns geschaffen und gehalten wurde. Ich wurde gesehen, geschützt und geliebt. Danke an alle, die ein Teil davon waren.

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