Sonntag, 13.06.2021, 19:45 – SSW 36+4
Wir hatten gerade das Abendessen beendet, Spargel mit Kartoffeln, selbst gemachter Sauce Hollandaise und Schinken. Das Rühren der Sauce hatte mich bereits deutlich angestrengt.
Während A. die Kinder im Bad im Erdgeschoss duschte, räumte ich die Küche und den Esstisch auf, die Spülmaschine aus- und wieder ein, etc. Nachdem ich damit fertig war, setzte ich mich kurz an den Esstisch und nahm dann das Tablett mit zum Sessel, um noch eine Viertelstunde Pause zu machen, bevor ich nach oben ins Büro gehen wollte, um die Woche vorzubereiten.
So ließ ich mich etwas schwungvoll auf den Sessel fallen. In dem Moment merkte ich, wie mein Slip und mein Bein nass wurden (ca. 19:45 Uhr). Definitiv zu viel Flüssigkeit für die Blase. Im Gästebad bestätigte sich das ganz schnell: Die Fruchtblase hatte sich geöffnet. Auf Toilette ging noch mal ein ganzer Schwung Fruchtwasser ab. Ich schnappte mir ein Gästehandtuch und klemmte es mir zwischen die Beine, um ein größere Überflutung auf dem Weg zu den anderen ins große Bad zu verhindern.
„Meine Fruchtblase hat sich geöffnet.“ A. hörte erst nichts unter der Dusche bzw. verstand nicht, was ich ihm sagte, da er mit dieser Information in diesem Moment einfach nicht rechnete.
Ich war mit der ganzen Situation emotional überfordert und sehr überrumpelt und fing erstmal an, zu weinen. Heute war ich ja erst bei 36+4 und hatte eigentlich mit mindestens vier weiteren Wochen Schwangerschaft gerechnet. A. fragte, ob er etwas machen könne, was ich verneinte. Ich griff mir eine Einlage und ein Netzhöschen, um wieder mobiler zu werden, um danach zurück zum Gästebad zu laufen. In diesen ersten Minuten war ich so durcheinander, dass ich etwas Zeit benötigte, um einen klaren Gedanken zu fassen. Ich ging noch einmal zurück ins große Bad, um die pH-Sticks aus dem Badschrank zu holen, die ich erst am Vormittag dort deponiert hatte, nachdem wir im OG den Geburts-Pool aufgebaut hatten. Die Flüssigkeitslache am Boden im Gästebad war groß genug und es blieb kein Zweifel, dass es sich um Fruchtwasser handelte. A. kam kurz zu mir und wir besprachen, dass ich jetzt Hebamme I. anrufen würde. Das war um 19:55 Uhr. Der 13.06. war I.s letzter Urlaubstag und meine Rufbereitschaft hätte eigentlich erst am 16.06. begonnen.
Glücklicherweise schlug sie vor, erstmal vorbei zu kommen und sich ein Bild der Lage zu machen.
Ich ging dann erstmal duschen, während A. die Kinder ins Bett brachte. Um 20:30 Uhr war I. da. Wir gingen gemeinsam hoch ins Wohnzimmer, I. untersuchte mich auf meinen Wunsch hin vaginal (2 cm) und versuchte auch, die Nähte zu tasten, was aber noch nicht möglich war und wir begannen erstmal, ein CTG zu schreiben. Da konnten wir dann in 30 Minuten auch 3 Wellen aufzeichnen, die sich für mich „nur“ anfühlten wie ein harter Bauch. Nach ca. 10 Minuten CTG kam auch A. dazu und I. klärte uns über das Thema Krankenhaus vor 37+0 auf. Sie erklärte uns auch die nächsten Schritte, für den Fall, dass in 24h kein Geburtsfortschritt zu verzeichnen wäre. Sie beruhigte mich, dass – quasi bei 37+0 – sicher eine Geburt im etwas entfernteren Krankenhaus ohne Neo möglich sein könnte und dass sie dann mit der leitenden Oberärztin sprechen würde. Wir verabredeten uns spätestens für den nächsten Morgen um 8h, um noch einmal nach der Lage zu sehen und eventuelle nächste Schritte zu besprechen. Gegen 21:30 Uhr fuhr I. wieder nach Hause.
Immer noch etwas ungläubig rief ich meine Freundin C. an, um ihr von der beginnenden Geburt zu berichten, damit sie kommen könnte, falls es tatsächlich nachts losgehen sollte, um die Geburt zu fotografieren.
I. und ich bereiteten dann noch einige Handgriffe vor, Klamotten und Handtücher für das Bad. Wir hängten den Baldachin über den Geburtspool, ich legte Kopfhörer bereit und wir klappten die Sofaliege auf.
Auch mein selbst gefärbtes Geburtskleid kam zum Einsatz, was prima war bei Blasensprung. Damit fühlte ich mich weniger nackt, so ohne Hose.
Ich beschloss, dass der 13.06. kein schönes Datum sei für eine Geburt, der 14.06. aber schon.
Während A. noch einmal nach den Kindern sah, hörte ich die Meditation von „Die friedliche Geburt“ zum Thema „Geburtsbeginn mental fördern“ mehrmals – und dann war alles gut. Ich konnte die Situation annehmen, mir war wieder etwas leichter zu Mute und war auch wieder zu Späßen aufgelegt.
Danach unterhielten wir uns etwas über die Geburt, recherchierten, wer am 14.06. Geburtstag hat (Donald Trump, Che Guevara, Olaf Scholz unter anderem), fragten uns ein letztes Mal, ob wir wohl ein Mädchen oder einen Jungen erwarten würden, mit Haaren oder ohne, etc. In der Zeit wurden die Wellen regelmäßiger und stärker.
Montag, 14.06.2021 – Geburt
Um 0:24 Uhr entschieden wir uns, C. und I. anzurufen, so wie ich es beschlossen hatte. Das “gute” Datum war ja gekommen, jetzt war ich bereit für Geburt. A. begann, den Pool zu füllen. C. kam recht schnell, I. traf um 0:50 Uhr ein. A. organisierte Getränke, Schüsseln für Kekse, etc. und kurz danach auch einen Tee.
Ich ging noch etwas umher und veratmete so die Wellen. Ich war ganz bei mir, ganz in einem hypnotischen Zustand, auch ohne, dass ich Kopfhörer trug. Die zuvor so oft geübten Meditationen reichten vollkommen. Ich fühlte mich gut und sicher und freute mich auf die bevorstehende Geburt. Es ging mir gut, es ging dem Baby in meinem Bauch gut. I. hörte einmal mit dem Doppler die Herztöne ab. Um 1:25 Uhr untersuchte mich I. auf meinen Wunsch. Der Muttermund war bei 5-6 cm, genau wie ich es eingeschätzt hätte, und der kindliche Kopf am Beckeneingang. Ich ging danach noch einmal auf die Toilette und entschied um 1:45 Uhr, in den Pool zu gehen. Für mich bedeutete das, aktiv in die nächste Phase der Geburt zu gehen. Die Wellen waren zu allen Zeiten völlig schmerzfrei.
Die Zeit im Pool genoss ich – wie bei meinem Sohn J.- sehr. Gemeinsam mit A. Er unterstützte mich beim konzentrierten Veratmen der Wellen im Vierfüßlerstand und die Wellenpausen konnte ich ruhend in Seitenlage verbringen. Die Wellen fühlten sich nach Arbeit an, waren aber nicht schmerzhaft. Im Pool war ich ganz von selbst in einem hypnotischen Zustand, den ich sehr genoss.
Um 2:40 Uhr hörte I. noch einmal die Herztöne ab. C. fragte dann noch nach besserer Beleuchtung für Geburtsbilder, was fast ein bisschen ulkig war. Schlussendlich wurde eine kleine tragbare Lampe neben den Pool gestellt.
Danach nahmen I. und C. wieder auf den Sesseln auf der anderen Seite der Treppe Platz und wir konnten uns wieder auf die Geburt konzentrieren.
Um 2:50 Uhr wurden die Wellen deutlich intensiver und ich begann, sie stärker zu veratmen, auch der Druck nahm langsam zu. Zwischendrin fragte ich A. nach einem Stück Banane für die letzten Meter.
Um 3:00 Uhr bat ich I. um eine weitere vaginale Untersuchung, da ich der Meinung war, dass ich nun bei vollständigem Muttermund sein sollte, was I. bis auf einen kleinen Saum auch bestätigte. Mir war direkt klar: jetzt lernen wir unser Kind kennen. So wechselte ich in die Hirtenstellung und stellte das linke Bein auf. Mit der nächsten Welle konnte ich aktiv mitschieben und den Kopf gebären. Ich konnte genau spüren, wie die Schulter rotierte und kommentierte das auch mit „Schulterrotation“, womit ich A. kurz irritierte, wie er mir hinterher verriet. Im nächsten Moment schob sich das Baby ins Wasser. Ich konnte mir einen Moment Zeit nehmen und es aus dem Wasser nehmen. Noch wussten wir ja nicht, ob Mädchen oder Junge. Die Nabelschnur war extrem kurz, so dass ich mich leider nicht mehr ins Wasser setzen konnte. Die Nabelschnur lag zwischen den Beinen, was für einen Moment die Sicht verdeckte. I. schob die Nabelschnur zur Seite und A. sagte „Es ist ein Mädchen.“, was uns bzw. mich auf jeden Fall überraschte (mein Bauchgefühl hatte Junge gesagt) und gleichzeitig riesig freute. Über einen Jungen hätte ich mich genauso gefreut. Ein kleiner Mensch, der unsere Familie bereichern würde.
Durch die kurze Nabelschnur hatte ich keine Wahl und musste aus dem Pool. A. und I. halfen mir beim Herausklettern und auf dem Weg zum ausgeklappten Sofa. Zu dem Zeitpunkt lag sie auf Höhe meines Bauchnabels und A. durfte abnabeln (3:17 Uhr). Dann fragte I. nach dem Namen. Ich sagte „Sag Du“ und so antwortete A. mit „M., oder?“. Ich nickte.
Diese Geburt war die schönste, ruhigste und vor allem die von mir am aktivsten gesteuertste bisher. Zu jeder Zeit wusste ich genau, wo ich im Geburtsverlauf stand und konnte aktiv entscheiden, die nächste Phase beginnen zu lassen. Die Geburt war nicht schmerzhaft, arbeitsam jedoch schon. Genauso habe ich mir die perfekte Geburt immer visualisiert.
Wir kuschelten etwas und warteten auf die Plazenta. Im Vergleich zu den anderen Geburten setzten hier jedoch erstmal keine weiteren Kontraktionen ein. Daher bat mich I. noch mal, eine aufrechte Position einzunehmen. Jedoch passierte auch hier nicht viel, Blutungen hatte ich auch keine. Danach entschied ich mich, M. mal die Brust anzubieten und sie trank direkt gleich gierig und stark, links neben mir liegend. Wir hörten sie sogar schlucken.
Nachdem auch da weitere Kontraktionen ausblieben, schlug I. vor, dass ich es auf der Toilette versuchen sollte. Hier konnte ich um 4:00 Uhr die Plazenta gebären und I. gratulierte mir sehr, sehr liebevoll zur Geburt.
Danach kamen die “großen” Kinder dazu, erst die beiden Mädels und dann auch noch J. I. erklärte ihnen ganz im Detail die Plazenta und wir widmeten uns dann ausführlich der U1.
Danach hatte ich Lust, ins Bett zu gehen und auch C. packte ihre Sachen, um sich zu verabschieden.
Der Pool war noch nicht vollständig leergepumpt und so war I. noch da.
Ab hier: Krankenhausbesuch am Tag der Geburt, Auffälligkeiten beim Kind
Nachdem C. gegangen war, kam I. zu uns um mit uns zu sprechen. Sie sagte, sie sei sich nicht sicher, vor allem nicht mehr, nachdem sie die großen Kinder gesehen habe, aber sie sehe Anzeichen für Trisomie 21. Sie zeigte und erklärte uns liebevoll die von ihr beobachteten Softmarker. Sie würde am Morgen die Kinderärztin informieren, um sich gemeinsam ein Bild zu machen.
Diese Information machte emotional in diesem Moment ganz wenig mit mir, ob 46 oder 47 Chromosomen, beides recht. Ich beschloss daher, mir M. zu schnappen und ins Bett zu gehen für etwas Schlaf.
Gleich um 8:00 Uhr klingelte schon das Telefon und unsere Kinderärztin war dran. Sie war im Urlaub bei ihren Eltern, aber quasi bereits auf dem Rückweg, um zu uns zu kommen und M. zu untersuchen. Sie hatte auch bereits in der Kinderklinik angerufen, um einen Termin in der Kinderkardiologie zu vereinbaren. Der Zettel mit den Notizen aus diesem Gespräch liegt immer noch hier. M. war doch unser süßes entzückendes Baby, ganz egal ob 46 oder 47 Chromosomen. Ich wollte mir keine Angst einreden lassen.
Gegen 11:00 Uhr waren beide, I. und M., bei uns zu Hause, um M. zu untersuchen. I. war schon ein paar Minuten früher angekommen und begann bereits mit einer Pulsoxymetrie-Messung. Es dauerte etwas, bis die Werte akzeptabel wurden. Auch sie bestätigte, dass sie schwache Anzeichen sehen würde, vor allem M.s zarte Haut und der geringe Muskeltonus.
Bereits für 15:00 Uhr war der Termin in der Kardiologie ausgemacht und meine Schwiegermutter kam zum Glück, um die drei Großen zu betreuen. So hatte ich mir den ersten Tag mit Baby nicht vorgestellt. Ich duschte schnell und schon mussten wir los.
An der Pforte der Klinik sollte A. erst nicht mit reingelassen werden wegen der Corona-Beschränkungen. Dann schlug der Pförtner vor, dass A. allein mit ihr gehen solle. Und wie würde er sie stillen?
Zum Glück hatte der Pförtner ein Einsehen. In der Klinik wurde dann das ganze Programm mit ihr gemacht, Blutdruck, EKG, Herzultraschall, Blutentnahme, etc. Die Größe und das Gewicht aus der Nacht von der Geburt wurden zum Glück akzeptiert. Obwohl wir nicht lange warten mussten, dauerte das ganze Prozedere mehrere Stunden. Den größten Teil der Zeit verbrachte ich stehend, es gab keine richtige Möglichkeit zu stillen. Mit Maske und einem frischen Neugeborenen war das auch fast nicht möglich. Im Ultraschallraum wurde dann noch direkt Blut abgenommen für ein Blutbild und die Chromosomenuntersuchung.
Im Herzultraschall zeigte sich eine Auffälligkeit, zum Glück jedoch nichts, was akut operiert werden musste. Wie es mit dem Herz weitergeht, wird die Zeit zeigen. Das 47. Chromosom und eine lange Liste an anderen gesundheitlichen Themen haben sich mittlerweile bestätigt. Durch den Krankenhaus-Marathon, den großen Stress und die sehr große Hitze in dieser Juni-Woche sowie ein erhöhter Bili-Wert wurde aus dem großartig stillenden Mäuschen leider ganz schnell ein Baby, das gar keine Milch aktiv allein zu sich nehmen konnte, weder an der Brust noch an der Flasche.
Ich bzw. wir haben jedoch nicht aufgegeben. Jetzt, vier Monate später, stillen wir ab und an, den Rest der Zeit füttern wir abgepumpte Milch per FingerFeeding. Ich habe weiterhin Hoffnung, dass ich sie irgendwann vollständig stillen kann, auch wenn der Weg dahin noch etwas weiter sein wird. Ich bin sicher, der Rest wird auch gut. Es ist schon jetzt gut, wie es ist. Es ist nur kein Sprint, sondern ein Marathon. Auch dank der Kraft, die wir aus der wunderschönen friedlichen Geburt ziehen konnten, haben wir die letzten Wochen so gut miteinander gemeistert. Sie ist eine ganz entzückende Maus, die sich von der ersten Sekunde tief in unsere Herzen gegraben hat.