Geburtsbericht von

V.

Liebe Kristin,

mir fehlt deine Stimme! Vor über zwei Jahren habe ich dich täglich gehört, entweder im Rahmen des Podcasts, des Online-Kurses oder in den tollen Hypnosen. Mit all den wertvollen Informationen konnte ich mich auf wunderbare Art auf die Geburt unserer Tochter (meine erste Geburt) vorbereiten. Zu Beginn hatte ich Schwierigkeiten, meinen Rückzugsort zu visualisieren, der zeigte sich erst nach sehr langer Zeit. Dafür ist er heute immer noch present und ich ziehe mich gerne dorthin zurück, wenn ich beispielsweise nicht einschlafen kann oder fünf Minuten abschalten will. Ich habe damals fleißig atmen geübt, hatte alles genauestens vorbereitet und alle instruiert, wie du es empfohlen hast. Das hat mir so viel Sicherheit und Selbstvertrauen gegeben, nicht nur während der Schwangerschaft, sondern auch während der Geburt und auch den Tagen danach.

Ich bedanke mich bei dir, für alles was du mir beigebracht hast. Dank dir bin ich sehr entspannt Mama geworden, auch wenn die Geburt letztlich ganz anders verlaufen ist als gewünscht. Und ich dachte, man hat immer drei Wünsche frei… Meinen Geburtsbericht habe ich als kleine Geschichte geschrieben, da ich ihn so beim Lesen immer wieder lächelnd durchleben kann, was ich übrigens sehr gerne tue. Hoffentlich komme ich nochmal in die glückliche Lage, mich auf eine Geburt mit deiner Stimme im Ohr vorbereiten zu dürfen und bis dahin lausche ich einfach auf deine Stimme in den kostenlosen Meditationen. Jetzt aber zum Geburtsbericht:

… man hat doch immer drei Wünsche frei, oder?
Fertig. Ich sitze auf der Couch und freue mich, dass ich die Mütze für N., die Tochter einer Freundin, fertig gestrickt habe. Sie ist vor drei Tagen auf die Welt gekommen und da ich nichts zu tun habe, außer auf die Geburt unseres Kindes zu warten, stricke ich für sie. Jetzt noch die Fäustlinge und dann kann das Set verschenkt werden.
Ich schaue nach draußen. Ich liebe den Blick von der Couch durch die großen Fenster auf die Wiese am Haus. Es ist ein typischer Novembertag: nicht zu warm, nicht zu kalt, eigentlich ganz ok. Perfektes Tee-Wetter. Ich streichle ab und zu über meinen Kugelbauch und bin rundum zufrieden.

J. sitzt am Küchentisch und arbeitet von zu Hause. Je näher der errechnete Geburtstermin rückt, desto weniger geht er ins Büro. Kommentarlos. Er ist einfach da. Für solche Kleinigkeiten liebe ich ihn noch mehr, als ich es ohnehin schon tue.

Mh, schon 15 Uhr. Die Zeit rennt, aber ich habe auch schon einiges gemacht heute. Vormittags habe ich mich durch Papierkram gearbeitet und Rechnungen überwiesen. Ich habe geprüft, ob alle notwendigen Dokumente in der Geburtstasche sind und ich habe noch mit ein paar Kollegen von der Arbeit gechattet. Nicht zu arbeiten, fühlt sich auch nach fast sechs Wochen Mutterschutz noch komisch an.

Und da ich heute schon fleißig war, gönne ich mir jetzt meine Auszeit zum Stricken und später will ich noch baden und eine Geburtshypnose anhören. Morgen ist bereits der errechnete Termin für die Geburt unseres Kindes, aber je mehr ich in mich rein höre, desto mehr glaube ich, dass da erstmal noch gar nichts passiert. Ich schaue immer noch aus dem Fenster und überlege, ob ich etwas essen soll. Wobei, lieber nicht, denn irgendwas muss ich gestern gegessen haben, was mir jetzt im Magen rumorgelt.

Ich schlage die Maschen für den ersten Fäustling an und denke über die Schwangerschaft nach. Ich bin unglaublich gerne schwanger. Ich hatte keinerlei Beschwerden, wir sind im 8. Monat noch wandern gewesen in Tirol und mein Gewicht hält sich in Grenzen. Gut, ich würde gerne mal wieder aufstehen, ohne über die Seite zu rollen oder mir entspannt (!) die Schuhe zubinden, aber das ist auch schon alles. Schade, dass das bald vorbei sein soll. Ich mag meine Kugel!

Ich fühle mich im Großen und Ganzen auch ganz gut vorbereitet, soweit man das überhaupt sein kann. Es ist meine erste Geburt. Seit der Hälfte der Schwangerschaft höre ich regelmäßig Hypnosen von Die friedliche Geburt zur Tiefenentspannung. Das klappt hervorragend, ich werde nachher auf jeden Fall noch eine anhören. Ich mag das. Ich bin mir sicher, dass ich das während der Geburt auch hinbekomme. Auch die Atemübung finde ich super, erinnert mich an einen Meditationspodcast (den ich leider nicht zu Ende gehört habe, stelle ich fest).

Nochmal die Reihen nachzählen… Doch passt, das Bündchen für die Fäustlinge ist fertig. Auch der Podcast von Die friedliche Geburt war wirklich hilfreich. Es wurden so viele Themen angesprochen, an die ich vorher nicht gedacht habe oder von denen ich schlicht und einfach nichts wusste. Ah, da fällt mir ein, ich habe ja so eine Wehen-App runterladen wollen. [… wird heruntergeladen …] Im Podcast wurde, glaube ich, auch über Übungswehen und Senkwehen gesprochen. Habe ich bisher alles nicht, aber vielleicht liegt das daran, dass Mini in Beckenendlage sitzt. So, wie teste ich die App jetzt am besten?

Ich messe einfach meine dämlichen Bauchkrämpfe. Was habe ich denn nur wieder gegessen? Egal, und nebenher übe ich gleich die Atmung, dann brauche ich das nachher nicht machen. Schleimpfropf ist auch sowas, was man immer mal wieder gehört hat, aber ich habe mir nie drüber Gedanken gemacht. Laut Internet kann der Abgang des Schleimpfropf (was für ein komisches Wort, wenn auch treffend) kurz vor der Geburt oder auch bis zu zwei Wochen vorher stattfinden. Sehr hilfreich! Ich glaube, ein Teil von meinem hat sich gestern verabschiedet. Mini kommt wohl in den nächsten zwei Wochen. Wahnsinnig genaue Zeitangabe.

So, Faden abschneiden und voila: Fäustling Nummer 1. Ich blicke auf mein Handy und bin froh, für diese doofe Wehen-App nichts gezahlt zu haben. „Bitte begeben Sie sich ins Krankenhaus,“ steht da. Pffff. Wieso? Ich habe wohl mit meinen Stricknadeln in den Fingern paar Mal zu oft auf den Start/Stopp Knopf gedrückt.
Ein Blick auf die Uhr sagt, dass es schon fast 17 Uhr ist. Ich wollte ja noch in die Badewanne, vielleicht etwas lesen und noch eine Hypnose hören. J. hat ohnehin noch Telefonkonferenzen, da passt das ganz gut. Und falls das wirklich Übungswehen sind, die da zwicken, gehen sie laut Podcast bei einem warmen Bad weg. Wo sind jetzt wieder meine Kopfhörer? Klar, in der Tasche fürs Krankenhaus. Always be prepared!!! Der zweite Fäustling muss bis morgen warten.

Ich liebe baden! Ich freue mich, wenn das Baby da ist und ich endlich wieder in fast kochendem Wasser baden kann. Aber heute gönne ich mir 40° C. Wenn das die Geburt auslöst, ist es jetzt auch nicht mehr wild. Wo kann man denn in dieser Wehen-App alles wieder auf Null setzen? Machen wohl die wenigsten. Also nochmal von vorne, diesmal ohne Stricknadeln.

Ich bin gespannt, was J. über meine ganzen Vorbereitungen sagen wird, wenn es soweit ist. Ich denke nicht, dass ich was vergessen habe. Neben Kleidung für die Geburt, die Zeit nach der Geburt und für das Baby habe ich alle Unterlagen zusammen in einem Ordner mit Inhaltsverzeichnis. Da sind auch die Zettel mit den Namen für das Baby. Ein roter Zettel mit den Mädchennamen und ein blauer mit den Jungennamen, wir wissen ja nicht, was es wird. Wehe, jemand schreibt das falsch ab für die Geburtsurkunde. Ich habe mehrere DIN A4 Seiten mit Anleitungen für das Krankenhauspersonal inklusive Unterscheidung, wie die Geburt abläuft (Plan A-D). Und natürlich habe ich einen Brief für J. mit all meinen Anweisungen und Wünschen, falls ich mehr mit Kreischen beschäftigt bin als mit ihm zu reden während der Geburt. Ah, und der Picknickkorb ist auch bereit bis auf die frischen Sachen. Aber auch dafür gibt es eine Liste. Mann, werden mir meine Listen fehlen. Daran habe ich eine Weile gesessen.

Ich kann mir trotzdem irgendwie nicht vorstellen, dass die Schwangerschaft und alles, was dazu gehört, bald vorbei ist. Und auch die Geburt kann ich nur erahnen. Aber das lasse ich einfach auf mich zukommen. Hauptsache, Mini ist gesund. Oh, und meine drei Wünsche in Bezug auf die Geburt treten ein: ich gehe aufrecht und ordentlich ins Krankenhaus, ich habe gut geföhnte Haare (ich hasse es, wenn meine Haare nicht so sitzen wie ich das will!) und ich habe keinen vorzeitigen Blasensprung. Sonst wird es wirklich blöd.

So, was sagt die App jetzt? „Bitte begeben Sie sich umgehend ins Krankenhaus!“ Das Ding ist nerviger als ein Tamagotchi. Ich lösche die App wieder. Das macht einen ja ganz hibbelig. Es wäre alles nicht so wild, wenn das einzige Krankenhaus, dass eine natürliche Geburt bei Beckenendlage begleitet, nicht fast eine Stunde entfernt wäre. Ohne Stau am Stuttgarter Kreuz wohlgemerkt. Alle anderen Krankenhäuser im Umkreis machen automatisch einen Kaiserschnitt, weil wohl heute kaum mehr jemand eine BEL Geburt begleiten kann. Ich hatte wirklich gedacht, dass sich Mini beim Versuch der „Äußeren Wendung“ drehen lässt. Aber es ist wie es ist, Kind sitzt da wie Buddah und dann fahren wir eben nach Filderstadt, wenn es geboren werden möchte. Vielleicht kommt es ja nächstes Wochenende und dann haben wir zumindest das Thema mit dem Stau nicht.

Die Tür vom Bad geht auf und J. schaut rein. Ob alles OK sei, ich sei schon über eine Stunde in der Wanne. Das ist der Vorteil, wenn man immer so heiß badet – man kann einfach länger im Wasser sitzen, bis es zu kühl wird! „Alles wunderbar. Ich werde nur diese doofen Krämpfe nicht los. Ich rufe nachher mal in der Klinik in Filderstadt an, ob wir morgen oder so mal zur Untersuchung vorbeikommen sollen. Oder vielleicht kann ich ja auch hier ins KH zum Ultraschall und wenn die sagen, dass wir lieber in die Fachklinik sollen, können wir immer noch nach Filderstadt fahren.“ J. meint, das sei eine gute Idee und er mache jetzt Feierabend. Ich will noch paar Minuten im Wasser bleiben und dann aber auch bald rüber zu meinem Mann gehen. Soll ich untertauchen? Ich habe mir heute früh so schön die Haare geföhnt. Ach egal, heute passiert eh nichts mehr. Ich halte mir also die Nase zu und tauche genüsslich in das warme Wasser.

Gut. Die Kerze am Badewannenrand ist ausgepustet und mein Handy liegt ein Stück vom Badewannenrand entfernt. Dann mal raus aus dem Wasser. Gar nicht so einfach mit dem Bauch. Ich weiß, warum ich das Wasser schon eher ablasse. Wenn der Wasserspiegel niedriger ist, kann ich mich einfacher mit dem Kugelbauch auf die Seite drehen, um besser aufzustehen. Ein Wunder, dass ich beim Versuch, aufzustehen noch nicht ertrunken bin! Ok, jetzt nur noch vom Vierfüßlerstand aufrichten. Wieso läuft denn Wasser nach? Bin ich an den Wasserhahn gekommen? Da läuft kein Wasser aus dem Wasserhahn. Aber ich höre Wasser laufen. Wo zur Hölle läuft denn hier Wasser. Achso, aus mir. Aus mir? Ach… verdammt.

Das ist dann wohl Fruchtwasser. Fruchtwasser soll anscheinend süßlich schmecken. Soll ich es probieren? Keine Zeit, wegen der Beckenendlage vom Baby soll ich mich bei einem Blasensprung sofort hinlegen, damit die Nabelschnur nicht unter das Baby rutscht und eventuell abgeklemmt wird. Also wieder hinlegen… Ich muss kichern, weil ich drauf und dran war, mich wieder in die Wanne zu legen. Kein guter Ausgangspunkt für einen Krankentransport. Also endlich raus aus der Wanne und schnell auf den Boden legen. Schnell bedeutet, vorsichtig auf alle Viere und dann über die Seite auf den Rücken legen. Hier liege ich also. Nackt, nass, alle Viere zur Decke und aus mir läuft immer noch Fruchtwasser. Ok, umdrehen, wieder in den Vierfüßlerstand, Po nach oben, Oberkörper auf dem Badteppich ablegen und – juhu, es läuft kein Wasser mehr aus mir raus.

Hier knie ich also auf dem Badvorleger. Nackt, nass und mit dem blanken Po zur Badezimmertür. Ich rufe mit ganz normaler Stimme nach J., ob er mal kurz kommen könne. Er steckt den Kopf zur Tür rein und hält mich wohl für völlig bekloppt oder vielleicht wundert ihn auch nichts mehr. „Ähm, könntest du in Filderstadt anrufen und sagen, dass wir jetzt kommen? Meine Fruchtblase ist geplatzt. Und einen Liegendtransport kannst du auch schon bestellen.“ Er nickt und geht ruhig zum Telefon. Und nun? Ich angle mit dem ausgestreckten Bein nach einem Handtuch und versuche, mich irgendwie abzutrocknen. Komme ich vielleicht an den Föhn dran? Ich musste ja auch unbedingt nochmal tauchen! Verflucht. Ok, hab‘ den Fön. Wenigstens trockene Haare will ich haben.

Ich höre J. in der Wohnung auf und ab laufen und Sachen zusammensuchen. Ich versuche, mir in dieser unfassbar unbequemen Haltung die Haare zu föhnen und bin einigermaßen erfolgreich. Sie sind zumindest trocken. Eine Frisur ist eindeutig nicht erkennbar. Mir wird plötzlich bewusst, dass hier gleich Leute ins Bad kommen werden, um mich liegend ins Krankenhaus zu befördern und das erste, was sie von mir sehen werden, ist mein strahlend weißer Hintern. „Schatz, bitte hilf mir, mich irgendwie anzuziehen!“ Ich sehe meinem Mann in die Augen und stelle fest, dass seine Ruhe etwas anderem gewichen ist. Stress? Hektik? Egal, Hauptsache wir bekommen mich angezogen. Es muss ein T-Shirt und eine meiner bequemen, fluffigen Haremshosen herhalten, die ich schon die ganze Schwangerschaft trage. Sehr gemütlich die Teile, dank monströsem Gummizug um den Bauch. Ich hätte die Hose allerdings als letztes anziehen sollen. Jedes Mal, wenn ich den Oberkörper anhebe, um in das T-Shirt zu kommen, schwappt Fruchtwasser aus mir raus und in die Hose. Oh man!

Ich höre ein Martinshorn. Die waren wirklich fix. J. geht los, um dem Team des Rettungswagens die Tür aufzumachen. Irgendwann steht die Truppe dann bei uns. Sechs Mann, oder vielleicht sieben? Ich kann sie aus meiner albernen Körperhaltung nicht alle sehen, aber sie verteilen sich gleichmäßig auf Bad, Flur und Wohnzimmer. Hoffentlich sieht es bei uns nicht unordentlich aus. Naja, die haben bestimmt schon vieles gesehen in dem Beruf. Ich höre, wie J. bereits mit der leitenden Ärztin des Teams diskutiert. Von den Satzfetzen, die ich hören kann, tritt genau das ein, was ich vermeiden wollte. Das Rettungsteam wird mich nicht nach Filderstadt fahren.

Nun steht die Ärztin neben mir. Ich verdrehe den Hals, um sie anschauen zu können. Netterweise geht sie runter in die Hocke. Ich erkläre ihr, dass meine Fruchtblase geplatzt ist, das Baby in Beckenendlage liegt, ich deswegen liegend transportiert werden sollte und ich gerne nach Filderstadt möchte zum Entbinden. Warum ich in dieser Haltung sei, fragt sie. Ich finde, diese Frage ist durchaus berechtigt. Ich erzähle ihr, dass nur in dieser Haltung nicht noch mehr Fruchtwasser ausläuft. Ob mir jemand diese Haltung empfohlen hat. Ist es wirklich das, um was es jetzt geht? Ich antworte höflich mit „Nein.“ Nach einer kurzen Unterhaltung über meine aktuelle Lage erläutert sie, dass sie mich nicht nach Filderstadt fahren können aus folgenden Gründen:

– Sie haben als Rettungswagen den Auftrag, mich in das nächste KH zu fahren, welches mir in meiner medizinischen Situation helfen kann. Da auch ein Kaiserschnitt bei einer Geburt ein gängiges Mittel ist, ein Kind auf die Welt zu holen, bieten sich Bietigheim und Ludwigsburg an. Filderstadt leider nicht, da dazwischen noch ungefähr 10 andere KH liegen, die Entbindungen anbieten. Nur eben keines, dass sich mit Beckenendlagen auskennt. Kruzifix!

– Im Rettungswagen ist zwar ein Arzt, aber kein Gynäkologe und schon gar keiner, der eine Beckenendlagengeburt professionell begleiten könnte.

– Wir sind mitten in der Rush Hour und das Stuttgarter Kreuz ist sehr wahrscheinlich mal wieder reich an Stau und stockendem Verkehr. Wir wären also niemals in meiner angepeilten Dreiviertelstunde in Filderstadt.
Ich könnte auf eigenes Risiko nach Filderstadt fahren, beispielsweise liegend auf dem Rücksitz im Auto. In diesem Fall müsse ich aber eine Erklärung unterschreiben, dass ich von der Ärztin aufgeklärt wurde und gegen ihren Rat handle.

Zur Erinnerung, ich führe diese absurde Unterhaltung immer noch in der von mir gewählten, etwas gewöhnungsbedürftigen Haltung und die Krämpfe von heute Mittag zwicken inzwischen irgendwie mehr. Ob ich Wehen hätte, werde ich gefragt. Ha! Das sind Wehen!!!! Vielleicht ist die App doch nicht so schlecht wie ich dachte.
Mein Blick fällt auf J., der in der Tür zum Badezimmer steht und nicht glücklich aussieht. Ich bitte die Ärztin um ein Gespräch mit meinem Mann unter vier Augen und sie verlässt das Bad.
Von all meinen Szenarien der Geburt unseres Kindes war ein Kaiserschnitt zwar berücksichtigt, aber als allerletzte Notlösung. Ich sehe in J. Gesicht und weiß, was er sagen wird. Er wird mich nicht nach Filderstadt fahren. Das Risiko, welches wir damit eingehen, steht einfach in keinem Verhältnis zu meinem Wunsch, natürlich zu entbinden. Ich sehe seine Sorge um mich und das Baby und ich weiß, wäre ich gerade nicht vollgepumpt mit allerlei Adrenalin und Glückshormonen, käme ich zum gleichen Schluss wie er. Und ich vertraue niemandem auf der Welt mehr als ihm. Es wird also ein Kaiserschnitt.

Nachdem nun diese Entscheidung getroffen wurde, bin ich in meinem Kopfkino schon wieder am Kichern. Wie bekommen die mich jetzt hier raus? Oh, atmen, das ist also eine Welle. Witzig. Das Rettungsteam holt eine riesige Plane (?), bugsieren mich drauf und dann werde ich durch den Flur und die Treppen runter nach draußen getragen. J. ist derweil schon am zusammensammeln von Schlüssel, Geldbeutel, Krankenhaustasche und was ich ihm sonst noch zurufe.

Draußen hat es angefangen, zu nieseln. Belustigt stelle ich fest, dass meine Hose ohnehin schon nass ist und die Frisur definitiv diesen Namen nicht verdient hat. Dann kann ich auch nass werden.
Irgendwie freue ich mich auf die Fahrt im Krankenwagen. Das habe ich zwar schonmal im Leben gemacht, leider aber wegen damaliger Bewusstlosigkeit nichts davon mitbekommen. Sehr ärgerlich. Aber dieses Mal will ich es voll auskosten. Oh, atmen…

Ich muss feststellen, dass man nicht wirklich rausgucken kann und es ist auch verdammt eng hier drinnen. Vor allem, nachdem sich rechts und links noch Mitglieder vom Rettungsteam platziert haben. Einer stellt sich als weiterer Arzt vor. Tach auch. Ob ich Wehen hätte. Denke schon. Dann würde er jetzt mal die Zeit stoppen. Na, da bin ich ja mal gespannt. Oh, atmen… Dummerweise hat der gute Mann wohl die ehrenvolle Aufgabe, meine Personalien, meinen Gesundheitszustand, meinen bisherigen Schwangerschaftsverlauf bis hin zu meiner Lieblingsfarbe zu erfragen und zu dokumentieren. Mit runter zählen und entspannt am Wattenmeer sitzen ist also gerade nicht. Zum Atmen nehme ich mir aber einfach die Zeit. Oh, wo wir davon sprechen… Er teilt mir mit, dass zwischen den Wellen gerade mal 3 Minuten liegen. Das hat mir die App aber auch schon verraten.

Das Spannendste an der ganzen Fahrt ist, dass das Martinshorn an jeder Ampel und Kreuzung angemacht wird. Ich finde es übertrieben. Ohne das Trara wären wir wahrscheinlich auch nur 2 Minuten später angekommen.
Wir fahren an den Notfalleingang des Krankenhauses. Ich habe mich für das KH in Bietigheim entschieden. Zwar hat Ludwigsburg eine Neonatalstation aber ich bin mir sicher, dass wir die nicht brauchen. Zudem ist Bietigheim 10 Minuten näher.

Ich werde mit meiner Super-Duper-Bare ins Krankenhaus und auf die Entbindungsstation geschoben. Also nichts mit Aufrecht-ins-Krankenhaus-gehen. Seit die Fruchtblase geplatzt ist, spüre ich die Wellen stärker. Nicht schlimm und nicht schmerzhaft im bekannten Sinne. Trotzdem finde ich es viel angenehmer, wenn ich sie in Ruhe veratmen kann. Das gestaltet sich zusehends schwieriger. Kaum bin ich im Vorzimmer zum OP, habe ich das Vergnügen, einer Ärztin fast das gleiche nochmal zu erzählen, wie dem Herrn im Rettungswagen. Wozu hat er sich denn Notizen gemacht bitteschön?

Da ich mir trotzdem die Zeit zum Atmen nehme, dauert das Ganze jetzt halt. Aber ich denke mir, irgendwann weiß die Dame alles, was sie wissen muss und dann habe ich Ruhe. Nö. Jetzt kommt eine Schwester, die mir einen Zugang legt. Vorteil vom Kaiserschnitt: die Diskussion, ob ich einen Zugang möchte oder nicht, kann ich mir sparen. Ich sehe die Dinge gerne positiv. Die Schwester redet zwar nicht viel, aber sie lenkt mich trotzdem irgendwie ab. Ok, nur kurz den Zugang, dann ist Ruhe. Nö. Jetzt kommt der Anästhesist mit russischen Vornamen. Er macht hinter seiner Maske einen sympathischen Eindruck. Was mich nervt ist, dass er mich gemächlich über die Risiken, die Notwendigkeit, die Vorteile, die Vorgehensweise zu einer PDA aufklärt. Äh, habe ich etwa eine Wahl? Dass ich mit dem Ganzen einverstanden bin, darf ich dann noch unterzeichnen… Atmen… Dauert auch etwas länger.

Und schwupps, da ist die Ärztin wieder und möchte meinen Muttermund tasten. Mir doch egal. Sie teilt mir mit, dass mein Muttermund schon über 2cm geöffnet ist und der Wehenschreiber ganz tolle Werte ausspuckt. Auch dem Baby geht es blendend. Ich freue mich riesig darüber, weil mein Körper und das Baby einen ganz natürlichen Start für eine Geburt erleben. Oh, atmen…

Und wer hätte es gedacht, da ist die Schwester wieder und möchte mir einen Katheter legen.
Irgendwann ist alles vorbereitet, der OP ist frei, alle Teilnehmer sind da, und während J. sich in schicke OP-Klamotten wirft, werde ich auf dem OP-Tisch platziert. Ich Fuchs habe natürlich mein Handy dabei mit den Hypnosen und versuche der Dame neben mir zu erklären, dass ich gerne einen Ohrstöpsel im Ohr hätte. Nach Kurzem hin und her, bei dem ich glaube ich einen Anschiss bekommen habe, warum ich nichtdesinfizierte Gegenstände in den OP mitnehme, packe ich das Handy einfach weg. Das Setzen der PDA geht sehr schnell und völlig schmerzfrei. Ich empfinde es vor allem sehr angenehm, dass die Betäubung verdammt schnell wirkt. Ein Katheter verursacht nicht gerade ein Gefühl wie ein Wattebausch, aber Dank der PDA verschwindet das Gefühl augenblicklich.
J. ist inzwischen auch im OP Saal und sitzt links neben meinem Kopf. Vom Geschehen selbst sehen wir nichts, wegen dem gespannten Tuch.

Wellen veratmen ist zwar nicht notwendig, aber in Rücksprache mit dem Arzt darf ich trotzdem so tief weiter atmen. Das wäre super für die Sauerstoffversorgung und würde den Eingriff nicht behindern. Ich höre kurz in mich rein. Ich bin… ja, was bin ich? Entspannt, wenn man bedenkt, dass ich gleich aufgeschnitten werde. Froh, dass wir jetzt nicht am Stuttgarter Kreuz im Stau stehen. Belustigt, dass einfach alles anders kam. Dankbar, dass mein Mann bei mir ist. Und unglaublich freudig und aufgeregt, was als nächstes passiert.

J. hält meine Hand fest. Wir schauen uns an und ich lächle ihm zu. Er ist so angespannt, wie ich ihn noch nie erlebt habe. Ich glaube, wenn man ihn anschnippt, vibriert er wie eine Gitarrenseite. Zumindest ist die Angst etwas aus seinem Blick gewichen. Ich will ihm Mut machen und sage ihm, dass alles wunderbar ist und gut wird.
Die Ärzte erklären, dass alles so läuft, wie es soll und dass ich gleich einen Druck und etwas Ruckeln spüren werde. Ich spüre ehrlich gesagt wenig und warte einfach, während ich meinen Mann anschaue. Und dann passiert es: unser Baby holt Luft und lässt einen wundervollen Schrei los! J. und ich reißen die Augen auf. Wir können es beide nicht glauben. Und wenn man das schon nicht glauben kann, wie soll ich dann den Moment beschreiben, als jemand einen kleinen, blassrosafarbenen, etwas verknautschten Menschen auf meine Brust legt und sagt: das ist ihre Tochter. (Kleinen Moment, ich muss mir eben ein paar Tränen weg tupfen…)

Ich weiß nicht, wo ich hingucken soll. Diese niedlichen Augen, der winzige Kopf, Miniarme. Zum Glück ist mein Mann da und ich sehe, dass es ihm genauso geht. Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll. Ich rede leise mit meiner Tochter. So haben wir ein paar Minuten.

Wie zuvor erklärt, kommt die Schwester und nimmt mir unsere Tochter ab für die Erstversorgung. J. begleitet sie und wird sie danach auf die Brust gelegt bekommen, bis ich im OP fertig bin. Als die Kleine Truppe um meine Tochter weg ist, atme ich tief durch. Es ist geschafft. Sie ist da. Sie ist gesund. Es ist alles gut. Ich lausche den Gesprächen der Ärzte und anderen Anwesenden. Ich frage zwischendurch, ob alles ok ist und ob sie bitte eine schöne Naht fabrizieren könnten.

Es folgt Gelächter… Nach ca. 20 Minuten bin ich wieder „repariert“ und werde zurück in das Vorzimmer gerollt, wo meine kleine Familie auf mich wartet. J. liegt halb in einem Sessel und hat unsere Kleine auf der Brust liegen. Ich höre, wie er ihr irgendwas zumurmelt. Eine Schwester holt die Kleine und legt sie mir auf den Oberkörper. Ich bin völlig überwältigt und zugegebenermaßen auch überfordert. Ich schaue J. an und frage, was ich tun soll. Und er lächelt nur und sagt: „Nichts. Halte sie einfach nur fest.“ Und ich bin unfassbar glücklich und halte sie einfach nur fest, unsere Tochter M.

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