Entbindungstermin (ET)
Schon im Vorfeld wurden wir immer wieder nach dem offiziellen Entbindungstermins unseres Kindes gefragt. Hierzu hatten wir einen sehr informativen Vortrag vom Gynäkologen Prof. Dr. Med. Sven Hildebrandt aus Dresden angeschaut. Er beschreibt darin, wie schwangere Frauen bestmöglich innerhalb der Schwangerschaft, aber vor allem während der Geburtsphase, die zwei Wochen vor dem ET beginnt und zwei Wochen danach endet, betreut werden sollten. Gleich zu Beginn geht er auf das ungenaue Messverfahren zur Bestimmung des Entbindungstermins ein und welche Folgen dies für die Frauen hat. Denn sobald die schwangere Frau sich in der zweiten Hälfte der Geburtsphase befindet (NACH dem errechneten ET), wird sie mit dem Thema „Einleitung” konfrontiert.
Auch uns ereilte dieses Thema, denn unser Kind H. ist am Montag, den 11.01.2021 und somit neun Tage NACH dem ET zur Welt gekommen (41W + 2 Tage). Am ET stellten wir uns im Krankenhaus Vivantes Friedrichshain vor. Bis dahin hatte ich weder Übungswellen noch sonstige Anzeichen einer nahenden Geburt gespürt. Für uns war es ein kleiner Testlauf, wie gut wir auf alles vorbereitet sind (z.B. war die Kliniktasche vollständig gepackt, hatten wir an das Geschenk für die Hebammen und an alle Unterlagen gedacht?).
unsere Untersuchungstermine VOR der Geburt
Sa. 2.1.2021: Wir erreichten gegen 11Uhr das Krankenhaus, mussten uns dann aber 2h gedulden, weil am Wochenende die Besetzung eher knapp bemessen ist. Zum Glück hatten wir Stullen und genug Lesestoff dabei und konnten obendrein am warmen Heizungsplatz sitzen. Die Ärztin machte einen Ultraschall und tastete auf meinen Wunsch den Muttermund. Alles okay.
Di. 5.1.2021: Drei Tage später hatten wir den nächsten Termin. Ich fuhr morgens um 8Uhr alleine mit der S-Bahn ins Krankenhaus, da mein Mann arbeitete und hatte dieses Mal nur eine kurze Wartezeit. Die Ärztin war während meiner Behandlung sehr führsorglich mit mir, aber gnadenlos mit den werdenden Vätern, die alle den Wartebereich verlassen und draußen auf ihre Frauen warten mussten. Die Corona-Maßnahmen waren gerade wieder verschärft worden.
Später fand ich raus, dass die Ärztin und ich denselben Vornamen tragen. Sie hat meinen Bauch bestaunt und war voller Zuversicht, dass alles in Ordnung ist, da ja auch die Werte okay (genug Fruchtwasser, Plazentaversorgung gut, etc.) waren. Nach der Untersuchung bin ich dann mit der Tram noch Richtung P-Berg, um mir beim Hacker Bäcker ein leckeres Splitterbrötchen zu kaufen. Ich hatte mich vor der Geburt mit der Louwen-Ernährung (in kurz: Verzicht auf Lebensmittel mit einem hohen glykämische Index, die den Insulinwert schnell ansteigen lassen) näher auseinandergesetzt, aber aufgrund der Weihnachtsfesttage es als unrealistisch angesehen, dass ich diese Ernährungsweise sechs Wochen vor der Geburt durchziehen könnte. Ab Anfang Januar wollte ich aber im Wesentlichen die Hinweise aus dem Blogbeitrag „no Mummy is perfect” berücksichtigen. Nun ja, ihr wisst alle, wie das mit den Neujahrsvorsätzen so läuft…sie sind dazu da, gebrochen zu werden.
Fr. 8.1.2021: Am Freitag stand der nächste Termin im Krankenhaus an. Auch dieses Mal bin ich wieder allein los. Vor Ort bin ich unerwartet schnell an die Reihe gekommen. Dieses Mal wurde ich von der Oberärztin untersucht. Wieder waren meine Werte gut, allerdings nahm sie routinemäßig das Thema „Einleitung” auf, da dies ab Woche 40+7 im Krankenhaus empfohlen wird. Sie hat mit meinem Einverständnis eine Eipolablösung (die äußere Hülle der Fruchtblase wird mit der Hand vom Gebärmutterhals gelöst) zur Förderung der Geburt vorgenommen. Außerdem hat sie eine weitere Intervention (mit Dilapan-Stäbchen) für den nächsten Termin am So. 10.01.2021 vorgeschlagen. Mit meinem Mann haben wir die Untersuchungsergebnisse der zurück liegenden Woche diskutiert. Wir beide wollten möglichst keine Intervention und wir waren zuversichtlich, dass sich das Ganze sowieso erübrigt, weil wir uns ein Sonntagskind am 10.1.2021 wünschten (ich bin auch ein Sonntagskind). Es wäre auch ein guter Test, um die VRANN-Fragemethode anzuwenden. Im Gespräch mit der Ärztin sollte ich die Vorteile, die Risiken, die Alternativen besprechen und dann besprechen, was wäre, wenn wir noch warten bzw. wenn wir nicht agieren.
Eröffnungsphase
So. 10.1.2021: Und tatsächlich am Morgen entdeckte ich etwas Schleimiges im Slip. Dies war dann wohl der sogenannte Schleimpfropf (verschließt den Gebärmutterhals). Wow, das erste Zeichen, dass sich die Geburt unseres Kindes ankündigte. Am Tag zuvor bin ich noch mit dem Fahrrad durch die Gegend geradelt und hatte bis dato noch keinerlei geburtsähnliche Anzeichen vernommen. Nach einem ausgiebigen Frühstück mit Pancakes sind wir dann also wieder mit Sack und Pack zu unserem 12Uhr-Termin ins Krankenhaus gefahren. Vor Ort hat die Hebamme gleich ein CTG von mir gemacht und es waren bereits erste Wellen ersichtlich, die sich ein wenig wie Regelschmerzen anfühlten. Ich freute mich dann, dass wieder die nette Ärztin vom Dienstag im Dienst war, aber für meinen Mann bedeutete es wieder, dass er draußen und im Auto knapp 2h warten musste (CTG – fast eine Stunde). Die Ärztin war sehr zufrieden mit dem Zustand des Muttermundes und empfahl lediglich, dass ich Buskopan nehmen solle, damit sich die Muskeln dort etwas lockerten. Das Einsetzen der Stäbchen hatte sich auch erledigt und sie machte nochmal die Eipolablösung. Sie verabschiedete mich mit den Worten, dass ich am Dienstag wieder vorbeikommen soll und natürlich früher, falls sich etwas regt. Ich war in erster Linie froh, dass keine Maßnahmen bezüglich einer Einleitung notwendig waren, die ich in Corona-Zeiten besonders befürchtete. Ich hatte in Erinnerung, dass erst ab einer Öffnung von etwa 5cm des Muttermundes mein Mann in den Kreißsaal durfte. Nun ja, soweit musste es ja gar nicht kommen. Nach der Untersuchung sind wir direkt wieder zurück nach Friedrichshagen gefahren.
15:30: Als wir zurück waren, haben wir es uns mit einem Stück Kuchen im Wohnzimmer gemütlich gemacht. Irgendwie fehlte mir dann ein wenig der Appetit und auch das „Unwohlsein” bzw. die „Regelschmerzen” breiteten sich aus. Ich fand noch Buskopan, was allerdings 2017 abgelaufen war. Irgendwie war mir nach Rückzug und Ruhe.
16:30: Ich bin daher ins Schlafzimmer, um den Kommentatorentalk von RadioEins zu hören. Allerdings fühlte es sich nicht stimmig an, ich konnte mich kaum konzentrieren. Irgendwie war ich aber immer noch der Meinung, dass es noch nicht losgehen konnte mit der Geburt. Gestern bin ich doch noch mit dem Fahrrad umhergefahren. Ich schaltete dann aber trotzdem vorsorglich die Geburtshypnose von Kristin an (siehe Beitrag – meine Erfahrungen mit dem Onlinekurs „Die friedliche Geburt” von Kristin Graf). Ich weiß nicht, wie lange ich dort im Bett lag, da es auch schon dunkel war. Auf jeden Fall wusste ich irgendwann, dass es sich hier wohl doch um die Geburt handeln musste, da die Wellen an Fahrt aufnahmen.
Der Badewannentest
18:00: Ich entschied mich irgendwann für die Badewanne, um zu wissen, ob es demnächst an der Zeit ist, aufzubrechen. Es heißt, dass im warmen Wasser die Wellen an Intensität zu- oder abnehmen, sodass Frau gut einschätzen kann, wo sie im Geburtsprozess (Öffnung des Muttermundes) steht. Es gibt natürlich noch weitere Indizien, wie zum Beispiel den Blasensprung. Ob nun intensive Wellen, die über einen längeren Zeitraum in kurzen Abständen kommen, auch eine fortschreitende Öffnung des Muttermundes implizieren, vermag ich nicht zu sagen. Meine Freundin meinte, dass es eine 1:3:1 Regel gibt. Etwa EINE Stunde, alle DREI Minuten, EINE Welle und es wäre Zeit, sich auf den Weg ins Krankenhaus oder Geburtshaus zu machen, da angenommen wird, dass die Muttermundöffnung entsprechend fortgeschritten ist und sich Frau in Richtung „Austreibungsphase” bewegt. Soviel zur Theorie…! In der Praxis hat mir mein Mann die Hypnose dann über einen externen Lautsprecher angemacht und überall Kerzen verteilt. Außerdem sorgte er immer wieder dafür, dass ich genug trank. Ab und zu machte er einen der drei Anker, die wir vorher zusammen „einstudiert” hatten. Die Wellen kamen vom Gefühl her sehr regelmäßig, aber ich hatte kein Gefühl für die Abstände. Ich konzentrierte mich auf die Atmung, die ich vorher ja oft genug geübt hatte. Im Vorfeld war das Atmen nie ein größeres Problem für mich gewesen, da ich auch schon bewusst beim Yoga das Atmen erlernt hatte. Aber nun unter realen Bedingungen verlangte diese Bauchatmung mir wirklich alles ab. Ich musste mich sehr stark konzentrieren und vor jeder Welle in Position bringen, quasi wie beim Wellenreiten, denn ich wollte ungern „unter die Welle rollen”, sondern ganz smart auf ihr „reiten”. Weiterhin spürte ich ein wenig Schleim abgehen. Ich nahm an, es geht voran.
19:00: Das Zeitgefühl hatte ich ein wenig verloren, aber irgendwann war mir danach, die Wanne zu verlassen und wieder ins Bett zu wechseln. Es war auch nicht wirklich bequem, da ich viel Druck auf dem Steiß verspürte. Es war ein wenig der Ausgleich zu den Empfindungen, die ich während der Wellen verspürte. Zurück im Schlafzimmer, welches auch mein Kraftort war, hatte mein Mann die Idee, dass wir die Wärmematte seiner Oma nutzen konnten. Die Wärme tat wirklich gut und so hörte ich weiterhin die Geburtshypnose von Kristin in Dauerschleife und überlegte, wann denn der „richtige” Zeitpunkt für den Aufbruch ins Krankenhaus wäre. Wir hatten ja mind. 45min Fahrtweg, wenn es gut lief, evtl. auch nur 35min.
21:30: Ich bat meinen Mann, die Abstände zwischen den Wellen zu messen, um einen Richtwert zu haben, wo wir gerade waren. Mittlerweile war ich mir sicher, dass die Geburt begonnen hatte. So also fühlte sich an, worauf ich mich die vergangenen Monate vorbereitet hatte. Abgefahren. Die Messung ergab, dass ich alle 3min. für eine Dauer von einer Minute eine Welle hatte. Mir kam die Länge der Welle zwar kürzer vor, da ich in etwa 4 Atemzüge machte, selten schaffte ich es bis 10sek. einzuatmen, aber ich war immer sehr auf „nach unten” fokussiert. In den Pausen habe ich immer wieder überlegt, dass ich ja auch an die Visualisierung denken musste, aber wenn sich die Welle wieder aufbäumte, war dieses Bild verloren. Mein Mann rief dann beim Krankenhaus an und schilderte unsere Situation. Sie meinten, dass wir uns auf den Weg machen könnten. Mein Mann bereitete alles vor und packte sogar noch eine extra Essenstasche mit einer Portion Chili, Brot, Sushi und Obst ein.
22.30: Abfahrt zum Krankenhaus: ich bin mit Stillkissen hinten ins Auto auf die Rückbank eingestiegen, da ich bisher im Liegen am besten den Wellen begegnen konnte. Im ruckelnden Auto musste ich mich noch mal mehr konzentrieren. Anfangs habe ich noch ungefähr einschätzen können, wo wir uns streckentechnisch befanden, aber dann konnte ich loslassen und mich sehr auf die Atmung während der Wellen fokussieren. Als ich die Augen wieder öffnete, waren wir zwei Kurven vor der Einfahrt zum Krankenhaus. Puh, das hatte ich überstanden und mein Mann freute sich, weil er nur an vier roten Ampeln anhalten musste. Mein Gedanke war: „Vielleicht war der Muttermund schon offen und wir würden unser Kind bereits vor Mitternacht als Sonntagskind in den Händen halten? Immerhin bin ich ja selbst erst kurz vor Mitternacht geboren.”
23:00: Im Kreißsaal wurden wir von einer Hebamme empfangen, der mein Mann unser Geschenk übergab. Das war wohl etwas ungewöhnlich. Meine Karte an die Hebamme hatte er ins Geschenk (Korb mit frischen Äpfeln und selbst gebackenen Glückskeksen) getan und ich dachte noch, dass nun niemand mehr diese Karte mit der Botschaft liest, dass ich mich mit der „friedlichen Geburt” vorbereitet hatte. Nun ja, mein Mann erklärte alles kurz und auch in meiner Akte war dazu ja ein Vermerk, weil ich bei der Anmeldung den Geburtsplan dort hinterlegt hatte. Die Hebamme hat mit mir im selben Zimmer wie 11h zuvor ein CTG gemacht. Den Corona Test musste ich nicht mehr machen, da dieser bereits bei der Untersuchung am Nachmittag erfolgt war. Mein Mann hatte immer seine Maske auf, wenn die Hebamme ins Zimmer kam.
23:30: Nachdem sie mich vom CTG abgestöpselt hatte, fragte sie, ob sie mal den Muttermund tasten könnte. Ich hatte ursprünglich angegeben, dass ich die Centimeterangabe nicht erfahren möchte, aber in dieser „echten” Situation brannte ich nun darauf den Fortschritt einordnen zu können. Das Ergebnis mit gut gemeinten 2,5cm Muttermundöffnung war ernüchternd. Sie hätte guten Grund gehabt, uns wieder nach Hause zu schicken, aber wir durften noch mal in die geburtsvorbereitende Wanne. Auch dort hat mein Mann wieder die Geburtshypnose angemacht, die ich zwischenzeitlich beim Aufbruch ins Krankenhaus gestoppt hatte. Dieses Mal über Kopfhörer. Genauso, wie zu Hause, saß ich recht aufrecht in der Wanne und versuchte bei jeder Welle, den richtigen Zeitpunkt zu finden, um „aufzuspringen”, also mit der tiefen Einatmung zu beginnen. Es war ein Akt hoher Konzentration, dennoch nahm ich viele Einzelheiten um mich herum war. Untersuchungen der Hebamme (Herztöne am Bauch), wie mir mein Mann Wasser gab, neues warmes Wasser einfüllte und so weiter. Beide waren dabei sehr zurückhaltend und ich signalisierte durch Handzeichen, wann ein passender Moment war. Es war eine unheimlich ruhige, fast entspannte Stimmung im Raum und ich wirkte wohl nach Außen sehr ruhig. Immer mal wieder geriet ich „unter” eine Welle und konnte nur noch ausatmen. Ich bin zwar noch nie gesurft, aber es ist sicherlich nicht einfach, den Moment zu erwischen, wo du aufs Brett springst, um durch die Welle zu gleiten. Dieses Aufspringen ist einerseits anstrengend, aber du wirst dann belohnt, weil du über die Welle gleitest. Tja und ab und zu habe ich den Sprung verpasst und musste zusehen, nicht zu „ertrinken”. Auch in dieser Phase habe ich einen starken Gegendruck Richtung Steißbein ausgeübt, da es auch in dieser Wanne nicht gerade bequem war. Von anlehnen und entspannen, war ich weit entfernt, aber ab und zu bin ich während der Pausen auch ein wenig weggedöst, was ich daran merkte, dass mein Kopf ruckartig nach vorne fiel. Die Zeit hatte ich im Blick, aber da es mittlerweile nach Mitternacht war, hatte ich unseren Wunsch des Sonntagskindes bereits aufgegeben.
03:00: Ich hatte langsam genug von der Badewanne und brannte auch darauf zu wissen, wo wir nun stehen und ob die Öffnung des Muttermundes fortgeschritten war. Ich stellte mich innerlich auf 5 bis optimistische 7cm ein. Bevor wir die nächsten Maßnahmen besprechen wollten, versuchte ich noch, meinen Darm auf der Toilette zu erleichtern, was mir nicht so wirklich gelingen wollte, daher sind wir dann in ein anderes Zimmer, um ein weiteres CTG zu machen. So waren wir erneut etwa 45min unter uns und beschäftigt. Dieses Mal auch ein anderes Zimmer als zuvor. Irgendwann kam die Hebamme zu uns. Ich erinnere noch ihre gelben Birkenstocks, ihre adrette Hochsteckfrisur und ihr Parfum. Sie meinte nach Auswertung des CTGs, dass sie nicht glaubt, dass sich der Muttermund weiter geöffnet hätte. Vielmehr empfahl sie uns einen 2stündigen Spaziergang im angrenzenden Park. Warum auch nicht mit Wellen morgens um 5:30 Uhr für 2h bei Schnee einen Spaziergang wagen?! Wenn das nicht den Durchbruch brachte, was sonst? Oje, nun sollte ich wirklich in meinem Zustand spazieren gehen? Ich fragte noch, ob ich zuvor einen Einlauf bekommen konnte, da ich ungern im Park mein Geschäft verrichten wollte, wenngleich wir dort wohl keine Menschenseele antreffen würden. Ich war in erster Linie glücklich, dass wir die Eröffnungsphase vor Ort machen konnten und dass mein Mann die ganze Zeit an meiner Seite war. Meine größte Sorge war es, wieder mit dem Auto nach Hause fahren zu müssen.
05:30: Nach dem Einlauf teilte uns die Hebamme noch mit, dass es demnächst einen Schichtwechsel geben wird, aber sie wird die nächste Hebamme informieren. Wir sind dann 1x um das Krankenhaus spaziert und mein Mann überlegte schon, ob wir irgendwann die Zeit auch in der Tiefgarage überbrücken könnten. In regelmäßigen Abständen machten wir eine Pause, damit ich die Wellen veratmen konnte. Ich musste dabei die Pobacken zusammenkneifen, weil sich mittlerweile der Druck sehr in diesen Bereich verlagert hatte. Ich nahm an, dass das eine Auswirkung von der Badewannenhaltung war, wo ich starken Druck aufs Steißbein ausgeübt hatte. Nach der Krankenhausrunde sind wir noch eine Runde im Park gegangen und tatsächlich hatten sich dort, morgens um 6 Uhr schon die ersten Jogger*innen mit Stirnlampe bei Minusgraden und Schnee eingefunden. Auf der einen Seite fragte ich mich, wie verrückt es ist, so früh ausgerechnet an einem Montagmorgen zu joggen und auf der anderen Seite überlegte ich, ob die Jogger*innen hier oft andere schwangere Frauen mit ihren Partner*innen „spazieren gehen” sahen?! Meine Freundin, die knapp 3 Wochen vor mir dort entbunden hatte, wurde nämlich auch mitten in der Nacht in den Park für einen Spaziergang geschickt.
Irgendwann meinte mein Mann, dass er gerne zurück gehen würde, da er auf die Toilette musste. Ich war überrascht, dass wir bereits wieder am Eingang des Krankenhauses waren. Er erzählte später, dass ich mich auch immer mal wieder hingehockt hatte, woran ich mich überhaupt nicht erinnern kann. In dieser Phase muss ich wirklich in einer anderen Welt gewesen sein, denn ich hatte uns ganz woanders vermutet. Die Konzentration auf die Wellen hatten meinen Orientierungssinn ein zweites Mal ausgeblendet, aber das war ja sowieso die Divise, dass ich mein Gehirn ausschalten sollte.
07:30: Leider war die Toilette im Wartebereich des Kreißsaales verschlossen. Wir klingelten also beim Kreißsaal, um mal schnell auf die Toilette gehen zu dürfen, denn 2h waren ja noch nicht um. Uns begrüßte C. – eine herzliche, burschikose, kurzhaarige Hebamme, die bereits über unsere Lage informiert war. Sie fragte nun, was denn unser Plan wäre, denn da käme ja noch einiges auf mich zu. Und zur Bekräftigung hörte ich aus dem Hintergrund die Schreie aus dem Kreißsaal. Sie meinte, dass wir erst mal zu Kräften kommen sollten und bot uns das Corona Zimmer (improvisierter Kreißsaal für den Fall, dass eine Frau mit Corona Infektion gebären wollte) an. Sie strahlte sehr viel Zuversicht aus, dass ich es auf natürliche Art und Weise durch die Geburt schaffen würde. Nur sollte ich dafür Kraft tanken, schlafen und was essen. Meine Devise war es: Hauptsache nicht nach Hause und meinen Mann an meiner Seite zu wissen. Appetit hatte ich NULL, eher Sodbrennen und ich habe mich dann sogleich auch 1x übergeben müssen. Im Zimmer schloss mich C. an ein Dauer CTG an und ich lag dort dann ca. 3h auf der linken Seite und versuchte mich weiterhin im „Wellenreiten” und mit der Übelkeit, die mich nach jeder Welle packte. Die Geburtshypnose hatte ich in der Phase nicht mehr eingeschaltet, weil es ja auch hieß, dass ich mich erholen und auch ein wenig schlafen solle. Ich wollte daher nicht abgelenkt sein.
10:00: C. betrat das Zimmer (ich kann mich nicht daran erinnern, ob sie zwischendurch mal vorbei geschaut hatte) und prüfte das CTG. Außerdem fragte sie, ob sie meinen Muttermund tasten dürfe. Mein Mann dachte schon an eine Rückfahrt nach Friedrichshagen und ich hoffte inständig, dass sich irgendwas getan hatte und wir bleiben durften. Immer wieder dachte ich im Stillen, die ganze Sache mit einem Kaiserschnitt schnell zu Ende zu bringen. Ich hatte keine Lust mehr. Allein die Vorstellung, nach Hause geschickt zu werden, sodass die Wellen wieder weniger werden und ich dann am nächsten Tag per Einleitung wieder in die derzeitige Situation versetzt zu werden, war mein größter Horror. Ich verstehe dabei natürlich auch meinen Mann, der nun schon so lange an meiner Seite ausharrte und mich umsorgte, aber ich hatte ehrlicherweise keine Lust mehr auf dieses „Wellenreiten”. Tja, und dann das erlösende und für uns alle völlig überraschendes Untersuchungsergebnis des Muttermundes. Komplette Öffnung und das Kind liegt auch schon im Becken. C. meinte: „Ach, da können wir ja direkt loslegen.”
Austrittsphase
Ich war im ersten Moment irritiert, aber die Aussicht, dass wir dies hier schnell zu Ende bringen, motivierte mich 100%ig. Jetzt konnte es sich doch nur noch um wenige Minuten handeln? Ich weiß auch nicht warum, aber ich hatte immer die Vorstellung, dass die Austrittsphase recht schnell über die Bühne läuft. Im Nachhinein meinte mein Mann, dass ich etwa 10 bis 14 Wellen brauchte, bis unser Kind auf der Welt war. Aber eins nach dem anderen. Um erst mal überhaupt in die Stimmung zu kommen, nun diese neue Phase zu starten, bat ich meinen Mann, die Austreibungshypnose zu starten. Er spielte diese wohl über sein Smartphone ab und hatte anfangs ein wenig Probleme, sie zu starten. Ich wunderte mich ein wenig über mich selbst, weil ja oft von Kristin selbst, aber auch anderen Frauen beschrieben wurde, dass sie gerade in dieser Phase die Kopfhörer von den Ohren rissen und ich wollte nun genau das Gegenteil. Ich hatte das Gefühl, dass ich jetzt konkrete Anweisungen brauchte und da kamen sie auch schon. Ich sollte nun also kurz ein- und dann lange ausatmen und dabei pressen. C. hörte auch die Hypnose und feuerte mich mit weiteren Instruktionen an. Sie brachte mich zudem in Position. Wann und wie ich die Leggins und den Slip ausgezogen habe, weiß ich nicht mehr. Wahrscheinlich passierte alles irgendwie gleichzeitig, denn zur Muttermunduntersuchung war ja die Leggins sowieso schon fast aus und ich war mit dem Start der Hypnose beschäftigt. Beim ersten Pressen habe ich auch noch ein wenig meinen Darm und die Blase erleichtert. Mir ging kurz durch den Kopf, was ich gerade für einen Eindruck auf die Umstehenden machte, aber was raus musste, musste raus. Nach der ersten Presswelle hatte ich genug Zeit, um mich zu erholen und mich auf die nächste Welle vorzubereiten. Es fühlte sich alles genauso an, von Länge und Intensität, wie die vielen Stunden zuvor, nur dass ich auf einmal anders atmen und pressen sollte. C. machte sich ein wenig Sorgen um die Intensität der Wellen und stellte schon mal einen Venentropf mit Wehenmitteln bereit, aber versicherte mir, dass wir den sicherlich nicht brauchen werden, wenn ich nur fest genug presse. Leichter als das. Auch jetzt war es nicht immer ganz leicht, den Beginn der Welle zu erkennen. C. verließ auch immer mal wieder das Zimmer, weil sie irgendwas holen musste oder bei einer anderen Geburt unterstützte. Irgendwann reichte mir mein Mann Coca Cola, obwohl mir nach jeder Welle immer noch übel war und ich säuerlich aufstoßen musste. C. rieb auch noch eine Flüssigkeit auf meinen Damm, um alles geschmeidig zu machen.
12:00: Eine junge Ärztin kommt hinzu. C. scheint zu ahnen, dass es dem Finale zugeht und dann ist wohl routinemäßig eine Ärztin dabei. Ich kann mich später zwar nicht an ihren Namen erinnern, aber sie hatte ganz tolle braune Rehaugen. Außerdem durfte ich sie als Stütze nehmen. Ein Fuß in ihrer Hüfte und mit der anderen Hand hatte ich mein rechtes Knie umklammert, während ich dabei auf der linken Seite lag. Für meine Größe und Statur wohl die beste Gebärposition. Irgendwann kam auch ein wenig grünes Fruchtwasser raus, aber das CTG zeigte an, dass alles noch im grünen Bereich war. Lediglich der Abstand und die Intensität der Wellen bereitete den Umstehendes etwas Sorge, daher wurde ich angefeuert und durfte zwischendurch auch mal das Köpfchen tasten. Bis unser Kind sich zeigte, hatte ich es gefühlt schon 4 bis 5 Mal geschafft. Irgendwie war ich immer kurz davor. Ich habe zwischenzeitlich auch geräuschvoll gepresst, aber mein Mann meinte, dass es auf einer Lärmskala bei maximal 3 von 10 Punkten war und nicht zu vergleichen mit den Schreien aus den anderen Kreißsälen.
12:16: Unser Kind hat sich endlich gezeigt und ich mich getraut, gegen den letzten Widerstand anzuschieben. Mit einem routinierten Griff konnte C. das Kind „rausziehen” und schon lag es auf meiner Brust. Wow, geschafft und nun war ich gespannt wie ein Flitzebogen. Hatten wir ein Mädchen oder einen Jungen gezeugt? Im ersten Moment hielt ich die Nabelschnur für einen Penis, aber im nächsten Augenblick wurde uns mitgeteilt, dass wir eine Tochter als neue Erdenbürgerin begrüßen durften. Sie entledigte auch direkt ihren Darminhalt auf mir. Nun ja, wir wollten ja sowieso „windelfrei” probieren, dachte ich nur in diesem Moment und darüber hinaus hatte ich nur noch Augen für die Kleine.
12:20: Auf einmal war noch eine weitere Ärztin (weißer Kittel) und eine Hebamme (blaues Outfit) im Raum. C. drückte auf meinem Bauch, weil sich wohl die Gebärmutter nicht schnell genug zusammenzog. Auf der anderen Seite kam nun doch der Venentropf zum Einsatz. Schnell wurde routiniert der Zugang dafür gelegt. Derweil konnte die Nabelschnur ca. 2min auspulsieren, musste aber aufgrund der Lage schnell durchtrennt werden. Dies durfte mein Mann übernehmen. Mit einer Ruhe und Professionalität waren alle Personen bei der Arbeit und ich bemerkte den Ernst der Lage überhaupt nicht. Auch die Plazenta kam schnell, ohne das ich noch besondere Schmerzen hatte. Wir wurden sogar noch gefragt, ob wir sie mitnehmen wollten. Die Ärztin vernähte noch mit zwei Stichen den Labienriss, was ich kaum wahrnahm. Insgesamt war die Stimmung ganz entspannt.
Später erfuhr ich von der Ärztin, dass ich wohl eine Uteruatonie hatte und viel Blut verloren hatte. In der Situation haben wir uns dem Hormonrausch „Kind” völlig hingegeben. Ich dachte sogar noch, dass ich vielleicht doch noch nach Hause gehen konnte. Für meinen Mann war völlig klar, dass ich im Krankenhaus bleiben würde, umso schöner war es, dass wir bis 17 Uhr noch ganz viel Zeit zusammen hatten. Die Kleine fand nach einiger Zeit meine Brust, 2x entleerte sie noch ihren Darm und markierte damit ihr Revier auf ihrer Mutter, da sie nur mit Handtuch bedeckt, nackt auf mir lag. Die Übelkeit war irgendwann auch verschwunden und es gab Karotteneintopf und unser mitgebrachtes Sushi. Die Zeit verging und immer mal wieder schaute jemand im Zimmer vorbei, um die Lage zu checken.
Fazit
Mein Mann meinte immer wieder: „Was für eine Traumgeburt”. Und tatsächlich, es war eine natürliche Geburt ohne Medikamente und vor allem SELBSTBESTIMMT. Lediglich die manuelle Eilpolablösung und der Einlauf waren Interventionen, die ich mir gewünscht hatte. Das dicke Ende zum Finale haben wir im Augenblick nicht als bedrohlich und angstvoll erlebt. Außerdem erholte ich mich sehr schnell davon und da mir auch der Blasenkatheter erspart blieb, hatte ich zwar viele blaue Stellen an den Armen, weil entweder Blut abgenommen wurde oder ein Zugang gelegt werden musste, aber gegen den „Ritt auf den Wellen” war dies ein Klacks. Ich war dann zwei Nächte im Krankenhaus, wo ich mir ein Zimmer mit O. teilte. Im Krankenhaus habe ich ganz viele unterschiedliche Menschen kennengelernt und sogar eine Stillberatung bei M. aus Köpenick gemacht, die durch meine Fragen ins Erzählen kam. Ansonsten fragte der Arzt bei der Visite noch interessiert nach der Technik „Hypnobirthing”, die ich wohl unter Geburt angewandt hatte. Ich habe versucht, in kurzen Worten die Methode von Kristin näher zu bringen.
Insgesamt bin auch ich, wie eine Vielzahl an Frauen, sehr dankbar für die Arbeit von Kristin Graf. Würde ich was anders machen? Mit dem Wissen von heute würde ich wohl beim zweiten Kind mit einer Beleghebamme im Krankenhaus gebären. Wenngleich ich den Eindruck habe, dass die Mehrzahl bei Kristins Methode eine Haus- oder Geburtshausgeburt bevorzugen, bin ich natürlich froh, dass mir so schnell und routiniert vor Ort geholfen wurde. Mein Mann und ich haben uns auch gefragt, ob vielleicht der Muttermund bereits nach dem Spaziergang also bereits morgens um 7 Uhr weit genug geöffnet war, um die Austreibungsphase einzuleiten. Im Nachhinein ist es allerdings müßig, sich mit solchen Gedanken zu beschäftigen. Wir sind alle gesund und nachdem unser Kind um die Osterzeit gezeugt wurde und wir immer witzelten, dass es sich um ein Coronakind handelt, ist sie ausgerechnet im Corona Zimmer zur Welt gekommen. So bringen schwierige Zeiten auch immer Chancen und positive Erlebnisse mit sich.